
Gizmodo-Blogger Jason Chen mit dem iPhone-Prototyp
Die Marketing-Maschinerie von Apple wird im Vorfeld von Produktpräsentationen hauptsächlich durch die Verbreitung von Gerüchten angefeuert. Offiziell lässt der Konzern aus Cupertino niemals Informationen an die Öffentlichkeit. Üblicherweise sind es Blogger und Journalisten, die aus "informierten Kreisen" technische Details und neue Features erfahren. Gelegentlich taucht auch das eine oder andere verschwommene Foto von prototypischen Geräten auf. Bei gewissen Leaks dürfte Apple selbst die Finger im Spiel haben. Doch, dass ein Gadget-Blog einen Prototyp eines ansonsten absolut unter Verschluss gehaltenen neuen iPhones in die Finger bekommt, ist neu und wirft die Frage auf, wie weit Journalisten und Blogger gehen dürfen.
Post von Apple als Bestätigung
Erste Fotos waren bereits vor Wochen auf Twitpic aufgetaucht, am Wochenende schließlich Engadget zugespielt worden. Der CEO von Gizmodo-Inhaber Gawker Media hat laut der New York Times bestätigt das Gerät vom Finder um 5.000 US-Dollar gekauft zu haben - wohlwissend, dass es sich auch um ein gestohlenes Gerät handeln könnte. Nach der Veröffentlichung einer ausführlichen Review und zahlreicher Fotos, haben die Blogger schließlich Post von Apples Anwälten erhalten. Apple würde das Gerät gerne zurückhaben. Laut den Berichten habe Apple den Prototyp als gestohlen gemeldet. Für Gizmodo ist der Brief aus Cupertino das letzte Puzzleteil, dass es sich wirklich um das nächste iPhone handelt.
Grenze überschritten
Gizmodo kostet die Geschichte um das "gefundene" iPhone genüsslich aus. Mit drei Artikeln macht der Gadget-Blog seine Website aktuell auf: "This Is Apple's Next iPhone", "How Apple Lost the iPhone" und "A Letter: Apple Wants Its Secret iPhone Back" - hohe Zugriffszahlen verstehen sich von selbst. Klarerweise wird jeder Informationsschnipsel bestmöglich verwertet. Doch in diesem Fall könnten sich die Blogger zu weit aus dem Fenster gelehnt haben. Es ist fraglich, ob die Blogger den Prototyp überhaupt kaufen hätten dürfen. Nach kalifornischem Recht muss der Finder eines verlorenen Gegenstands diesen dem Besitzer, sofern bekannt, zurückgeben ohne Forderung einer Kompensation, so der Guardian. Einen gefundenen Gegenstand zu verkaufen ist gesetzeswidrig - und der Finder müsste gewusst haben, dass der Prototyp Apple gehört, da er ihn sonst den Bloggern angeboten hätte.
Apple-Mitarbeiter geoutet
Ob geltendes Recht verletzt wurde, bleibt jedoch nicht die einzige offene Frage. Das Outing des vermeintlichen iPhone-Verlierers zeigt, dass die Blogger für eine gute Story offenbar über Leichen gehen. Laut Gizmodo hat der Software-Entwickler den angeblich als iPhone 3G getarnten Prototyp in einem deutschen Bierlokal in Redwood City versehentlich an der Bar liegen lassen. Ein anderer Gast habe das Gerät gefunden und festgestellt, dass es sich nicht um ein 3GS, sondern ein komplett neues iPhone handle. Der Besitzer - Apple - habe das Gerät per Fernzugriff allerdings deaktiviert, wie es im Normalfall bei einem verlorenen oder gestohlenen Handy auch passieren sollte. In einem Artikel outet Gizmodo den unglücklichen Apple-Mitarbeiter samt Namen, Foto, Screenshot seiner Facebook-Seite, seiner Ausbildungsstätte und Hobbys sowie einem Transkript eines Telefonats. Zum Schluss betonen die Blogger noch, dass Apple den Mitarbeiter nicht feuern sollte, da so ein Malheur jedem - auch Steve Jobs höchstpersönlich - passieren hätte können. Dass der Apple-Mitarbeiter dafür seine Zustimmung erteilt hat, ist schwer zu glauben.
Kritik
Die Leser des Blogs sind geteilter Meinung über die Veröffentlichung. Während einige meinen, dass dadurch Gizmodos Glaubwürdigkeit gestiegen ist und der Software-Entwickler sicher auch woanders einen Job finden würde, üben andere scharfe Kritik und hoffen, dass die Karriere des Entwicklers damit nicht zerstört wurde. Die weiteren Konsequenzen daraus, eventuelle Klagen und ob der Mitarbeiter entlassen wird, bleiben abzuwarten. Die Sicherheitsbestimmungen bei Apple dürften nun jedenfalls weiter verschärft werden. (Birgit Riegler/derStandard.at, 20. April 2010)