Junge Forscherinnen am Vienna Bio Center in Wien-Landstraße: Für sie stehen laut der Sozialwissenschafterin Susanne Bührer Status und Geld nicht so sehr im Vordergrund.

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Standard: Forschen Frauen wirklich anders als Männer?

Bührer: Ja. Frauen legen auf ganz andere Dinge Wert als Männer. Unsere Untersuchungen haben gezeigt, dass Frauen ganz andere Akzente setzen, was wiederum zu ganz anderen Ergebnissen führt.

Standard: Welche Akzente setzen sie?

Bührer: Was für Frauen ganz wichtig ist, ist die Teamorientierung. Frauen legen ganz großen Wert darauf, dass auch abweichende Meinungen akzeptiert, gezielt gefördert und wertgeschätzt werden, um forschen zu können.

Standard: Muss in einer globalisierten Wissenschaftsszene die Zukunft der Forschung daher in Frauenhände gelegt werden?

Bührer: Ja. So sollte es sein. Wir haben uns lange überlegt, wie man die Wissenschaft effizienter machen kann. Dazu braucht es nicht nur generell mehr Frauen in der Forschung, sondern insbesondere in der internationalen Forschungszusammenarbeit ist es unumgänglich, dass generell mehr Vielfalt auch im Hinblick auf Alter, Nationalität und mehr besteht.

Standard: Die Teamorientierung allein macht sicher nicht den Unterschied. Worin unterscheiden sich forschende Frauen noch?

Bührer: Forschung von Frauen ist stark getrieben von einer inhaltlichen Leidenschaft und der Ausrichtung an Fragestellungen und nicht an irgendwelchen Meriten finanzieller oder reputativer Art. Und neben der Teamorientierung gibt es noch ein weibliches Spezifikum: das Arbeiten an Schnittstellen, zum Teil auch aus Zwangslagen heraus. Gerade in klassisch männerdominierten Disziplinen sind die gutdotierten Posten für Frauen kaum zu haben, dort werden Frauen in Randbereiche, die risikoreicher sind, gedrängt, was aber gar nicht so schlecht sein muss. Aus diesen Bereichen heraus ist es einfacher, die Grenzen der Disziplinen zu überschreiten und ein erweitertes Blickfeld zu bekommen, was der Forschung guttut.

Standard: Unterstellen Sie damit den Männern, zu großen Wert auf monetäre und Karriereziele zu legen?

Bührer: Ja. Wobei wir hier nicht am Geldbeutel hängenbleiben müssen, aber sich zu positionieren, den eigenen Standpunkt durchzusetzen und die eigene Reputation zu stärken, ist bei Männern viel stärker ausgeprägt als bei Frauen. Bei ihnen spielt auch Networking eine größere Rolle. Anders herum: Würden Forscher noch schlechter bezahlt, dann würden mehr Frauen forschen, weil bei ihnen Status und Geld nicht so im Vordergrund stehen. Emotionale Ruhe, Leidenschaft und Empathie spielen auch in der Forschung für Frauen eine stärkere Rolle, was sich eben in der Qualität der Forschungen und in den Inhalten spiegelt.

Standard: Und wie sieht es mit einem frauengerechten Umfeld in der Forschung aus?

Bührer: Das ist schwierig. Was wir beobachten, ist, dass es viele Frauen abschreckt, allzeit verfügbar sein zu müssen. Forschung und Wissenschaft können sie nicht in Teilzeit machen, sie müssen sich extrem gut organisieren, und das wollen nicht alle. Auch die eingeforderte ausschließliche Orientierung an der Spitze ist nicht das, was sich Frauen wünschen. Neue Organisations- und Arbeitszeitmodelle sind daher dringend notwendig.

Standard: Henne oder Ei: Braucht es mehr Frauen in der Forschung, damit sich die Rahmenbedingungen ändern, oder braucht es veränderte Rahmenbedingungen, damit mehr Frauen forschen?

Bührer: Ich glaube, es muss ein Zusammenspiel sein. Ich sehe aber auch, dass das sehr schwierig ist, weil die meisten Universitäten noch immer sehr hierarchisch strukturiert sind und in den meisten Fällen auch patriarchalisch geführt werden - hier eine Veränderung zu erwirken wird schwierig und geht sicher nicht so schnell vonstatten, wie wir uns das wünschen würden.

Standard: Angenommen, die Forschung, insbesondere die technische und naturwissenschaftliche, wird dereinst von Frauen dominiert und beherrscht. Wie würde der Output für die Menschheit aussehen?

Bührer: Ich denke, sehr viel pragmatischer und problemorientierter. Vielleicht gäbe es dann einfach weniger exzellente Raumfahrtmissionen, dafür aber mehr patientenorientierte Gesundheitsforschung.

(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 21. April 2010)