Der Sommer des Jahres 1783 war aufgrund des Ausbruchs des Vulkans Laki einer der gewitterreichsten
in Europa. Immerhin verhalf die Katastrophe dem Blitzableiter zum Durchbruch.

Illustration: Dominikus Beck

Mitte Juni 1783 legte sich ein eigenartiger Rauch über ganz Europa. Heute weiß man, dass der "trockene Nebel" auch Nordafrika und den Nahen Osten, vielleicht sogar Nordamerika und den Westen Chinas erreichte. Wochenlang war die Sonne selten zu sehen, bei Auf- und Untergang färbte sie sich jedoch blutrot. An manchen Orten roch es gar nach Schwefel.

Viele Menschen waren verängstigt: Steht nicht im Buch der Offenbarung, dass Rauch aus der Unterwelt das Ende der Welt ankündige? In vielen katholischen Gegenden wurden Buß-, Fast- und Bettage angeordnet.

Mit dem Nebel kam auch die Hitze. Durch Rekonstruktionen des Klimas weiß man, dass der Sommer 1783 in Mitteleuropa überdurchschnittlich warm ausfiel, in Westeuropa war es gar einer der heißesten. Doch damit noch nicht genug: Der Wiener Gelehrte Anton Pilgram, der über Jahrzehnte Wetterdaten notierte, sprach vom "stärksten Gewitterjahr, das ich noch erlebet habe".

Dramatische Berichte über Blitzeinschläge und niederbrennende Kirchen, Häuser und Ställe sowie explodierende Pulvermagazine füllten einen ganzen Sommer lang die Zeitungen - europaweit. Das Wienerblättchen zählte zwischen Juni und August 1783 96 Tote in Deutschland und Frankreich, darunter viele Mesner, die während des Gewitters die Glocken läuteten. Dieses sogenannte Gewitterläuten war in katholischen Gebieten weitverbreitet und sollte den Einschlag des Blitzes verhindern.

Die Aufklärer führten nun einen regelrechten Feldzug gegen diese als abergläubisch gebrandmarkte Praxis. Mit Erfolg: In Bayern erging bereits Anfang August 1783 ein Verbot. Preußen zog im September, Österreich Ende November nach. Das Verbot hielt freilich viele Gemeinden etwa in Tirol und Vorarlberg nicht davon ab, noch bis weit ins 19. Jahrhundert hinein gegen das Gewitter zu läuten.

Die Aufklärer propagierten stattdessen den Blitzableiter. Bereits 1752 von Benjamin Franklin erfunden, lief seine Einführung im deutschsprachigen Raum aber äußerst langsam. Erst in den 1770erJahren wurde hie und da einer dieser Metallstangen auf die Dächer montiert - bis der Gewittersommer 1783 die Nachfrage explodieren ließ. Das Wienerblättchen berichtete am 28. August 1783: "In diesen schrecklichen Wettermonaten sind mehr als 600 neue Blitzableiter in Deutschland errichtet worden."

Kampf dem Aberglauben

Aberglauben und Vorurteil - mit diesen Kampfbegriffen suchten die Aufklärer den Widerstand der skeptischen Bevölkerung zu brechen und sie für die neue Technologie zu gewinnen. Denn immer berichteten die Zeitungen, dass Blitzableiter zerstört oder deren Errichtung verhindert worden war.

Die Aufklärer nützten jedenfalls den Gewittersommer, um dem Blitzableiter endlich zum Durchbruch zu verhelfen. Allein wie der trockene Nebel entstanden war, darüber konnten sich die europäischen Gelehrten nicht einigen. Manche verwiesen auf die Erdbeben, die Anfang Februar 1783 den Süden der italienischen Halbinsel und Sizilien heimgesucht hatten. Stieg der Rauch aus den Tiefen der erschütterten Erde?

Das Rätsel klärte sich am 1. September 1783, als Kopenhagen die Nachricht über einen Vulkanausbruch in Island erreichte: Am Morgen des 8. Juni war an der Seite des Laki-Vulkans im Südosten der Insel auf etwa 25 Kilometer Länge die Erde aufgebrochen.

15 Kubikkilometer Magma schossen aus dieser Erdspalte, mehr als bei jedem anderen Vulkanausbruch im letzten Jahrtausend. Etwa 122 Millionen Tonnen Schwefeldioxid entwichen in die Atmosphäre, der trockene Nebel war nichts anderes als ein schwefelsäurehaltiger Aerosol-Schleier.

Der Laki-Spaltenbruch war vermutlich auch für die Hitze und die Gewitter verantwortlich. Bei Vulkanausbrüchen gelangen auch große Mengen CO2 in die Atmosphäre, was für einen allerdings kurzfristigen Treibhauseffekt gesorgt haben könnte, so Reinhard Böhm von der Wiener Zentralanstalt für Meteorologie.

Für Island führte der Ausbruch in die Katastrophe. Das Gras wurde durch säurehaltigen Regen vergiftet, der Viehbestand reduzierte sich um die Hälfte. Die daraus resultierende Hungersnot forderte ungefähr 10.000 Tote, etwa zwanzig Prozent der damaligen Bevölkerung.

Erhöhte Sterblichkeit

Neuere Studien legen nahe, dass zumindest in Großbritannien, Skandinavien und wohl auch in Frankreich die Luftverschmutzung durch Schwefeldioxid und die extreme Hitze des Sommers die allgemeine Sterblichkeit bedeutend erhöhten. In England allein starben im Juli und August 1783 23.000 Menschen mehr als in anderen Jahren.

Für Mitteleuropa fehlen noch eingehende Studien. Der Laki-Ausbruch sorgte für einen kurzfristigen Klimawandel. Der folgende Winter war auf der gesamten Nordhalbkugel extrem kalt, was die Mortalität nochmals erhöhte.

Immerhin war die Weinernte aufgrund der hohen Temperaturen 1783 in vielen Regionen sehr ertragreich. Und auch der Flugverkehr blieb unbeeinträchtigt, die ersten Montgolfieren stiegen im Sommer 1783 trotz trockenen Nebels in den französischen Luftraum auf. (Oliver Hochadel, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 21. April 2010)