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Der heutige Premier Hashim Thaci mit dem unter Korruptionsverdacht stehdenden heutigen Minister für Transport und Kommunikation, Fatmir Limaj, während einer Wahlkampfveranstaltung im Oktober 2002. Muharremi: "Sollte sich erweisen, dass Limaj schuldig ist, wird das einen erheblichen Legitimationsverlust auch für diejenigen Politiker bedeuten, die ihre politische Karriere auf ihrer Teilnahme in der UÇK aufgebaut haben."

 

 

 

Foto: EPA/Armando Babani

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EU-Polizisten vor dem Ministerium für Transport und Kommunikation während der Razzia am 28. April. Muharremi: "Ich würde nur dann eine solche Aktion wagen, wenn ich stichhaltige Beweise habe."

 

 

 

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Bürger mit amerikanischer, albanischer und kosovarischer Flagge während der Zeremonie zum Start des Baus einer neuen Autobahn im Kosovo, die das Land besser an Albanien und den dortigen Hafen Durrës anbinden soll. Der Zuschlag für das rund 700 Millionen Euro teure Straßenbauprojekt ging an das US-amerikanisch-türkische Konsortium Bechtel-Enka. Viele neue Straßen im Kosovo sind schon wieder schwer beschädigt. Muharremi: "Man muss nur auf der Schnellstrasse von Prishtina Richtung Ferizaj fahren, um festzustellen, dass öffentliche Gelder sinnlos verschwendet wurden."

 

 

 

 

 

Foto: Reuters/Hazir Reka

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Tausende Kosovo-Albaner heißen Fatmir Limaj, den heutigen Minister für Transport und Kommunikation, nach seinem Freispruch vor dem Haager Kriegsverbrechertribunal im Dezember 2005 willkommen. Inzwischen hat sich die Stimmung gegen ihn gewandelt. Muharremi: "Sehr viele wissen, dass sie in den letzten Jahren - salopp gesagt - ziemlich viel verbockt haben mit organisierter Kriminalität und Korruption. Für sie ist das jetzt die Gelegenheit, sich zu bereichern und nachher den Abgang zu machen."

 

 

 

 

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Pieter Feith, Sonderbeauftragter der Europäischen Union im Kosovo, während eines Interviews im März vor Flaggen der EU, des Kosovo und der USA. Muharremi: "Es gibt eine unheilige Allianz zwischen der internationalen Gemeinschaft und der kosovarischen Regierung."

 

 

 

 

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Kosovo-Serben im nördlichen Teil Mitrovicas tragen während der Gedenkfeiern zum 11. Jahrestag des Beginns der NATO-Luftangriffe auf Serbien am 24. März. ein Banner vor sich. Darauf zu lesen: "Freiheit oder Tod." Robert Muharremi: "Ich sehe nicht, dass auf die Bedürfnisse der serbischen Bevölkerung im Kosovo eingegangen wird."

 

 

 

 

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In Flaggen gehüllter Fahrradfahrer am 17. Februar 2010, dem zweiten Jahrestag der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo, in Prishtina. Muharremi: "Dieses sich gefangen sehen in der Region, abhängig zu sein, von einer Gesamtlösung für den Westbalkan, führt dazu, dass man sagt: Da wird unser Fortschritt eventuell gehemmt."

 

 

 

 

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Roma-Jungen spielen auf einem Müllplatz direkt neben ihren Häusern in Mitrovica. Muharremi: "Ein Gefahrenpotential besteht in der desolaten wirtschaftlichen Situation und der sozialen Unsicherheit, in der sich die Kosovaren befinden. Das könnte nach einiger Zeit sozialen Sprengstoff anhäufen, der sich entweder auf Minderheiten oder sonstige gesellschaftliche Randgruppen entladen könnte."

 

 

 

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Österreichs Außenminister Michael Spindelegger (re.) mit Hashim Thaci, bei dessen Besuch in Wien am 8. Februar 2010. Muharremi: "Wir haben hier eine Rivalität zwischen den Geldgebern. Jeder versucht damit direkt oder indirekt Einfluss auf die Politik zu nehmen. Das führt natürlich dazu, dass jeder versucht, mehr Geld auszugeben und mehr Einfluss zu bekommen."

 

 

 

 

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Aus Deutschland angereiste Kosovo-Albaner feiern auf den Straßen der albanischen Hauptstadt Tirana am 25. Februar 2008 die Unabhängigkeit des Kosovo. Muharremi: "Kosovo ohne Diaspora ist wirtschaftlich und kulturell nicht vorstellbar."

 

 

 

 

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Doch möglicherweise dreht jetzt der Wind. Die Regierung des Kosovo kam in den vergangenen Wochen in immer stärkere Bedrängnis. Zwei Jahre nach der einseitigen Erklärung der Unabhängigkeit von Serbien übt aber nicht der verfeindete Nachbar Druck auf Premierminister Hashim Thaçi und vor allem dessen Minister für Transport und Kommunikation, Fatmir Limaj, aus, sondern die europäische Rechtsstaatsmission EULEX.

Ende April filzte sie dessen Ministerium und sogar eine Privatwohnung Limajs. Wenige Tage zuvor veröffentlichte die kosovarische Zeitung "Prishtina Insight" einen Artikel, der erstmals detailliert Unregelmäßigkeiten im Verkehrsministerium des Kosovo aufdeckte. Darin ist von geflossenen Bestechungsgeldern die Rede. Von kleinen Firmen, die an große Aufträge kamen, weil sie dem Minister offenbar nahestanden. Und von teuren Straßenbauprojekten, die viel billiger gebaut worden seien, weswegen auch neue Straßen im Kosovo schon wieder baufällig sind.

Inzwischen ermittelt die Behörde offiziell aufgrund des Verdachts von Geldwäsche, organisierter Kriminalität, Amtsmissbrauch und Betrug gegen den Minister. Am gestrigen Donnerstag durchsuchte die EU-Polizei sogar das Gepäck von Premier Thaçi vor dessen Abreise zum Staatsbesuch in der Türkei. Verändert sich etwas im Kosovo? Wird nun doch gegen die grassierende Korruption im Land vorgegangen? Und welche Erfolge können die internationalen Instutionen verbuchen? derStandard.at sprach mit Robert Muharremi, der ohne sein Wissen im März fast neuer Justizminister des Kosovo geworden wäre, die Mitarbeit in der Regierung dann aber ablehnte. Denn: "Ich sehe keine Anzeichen, dass die jetzige Regierung Willens oder imstande ist, die wirklichen Kernprobleme des Kosovo anzufassen."

derStandard.at: Wie fährt es sich denn auf den neuen Straßen im Kosovo? Sind die wirklich so ramponiert?

Muharremi: Ja, das kann ich bestätigen. Man muss nur auf die vor nicht mal zwei Jahren gebaute Schnellstrasse von Prishtina Richtung Ferizaj fahren, um festzustellen, dass öffentliche Gelder sinnlos verschwendet wurden. Die Straße hat an mehreren Stellen Schlaglöcher und Autos fahren in tiefen Spurrinnen, weil die Straße abgesackt ist.

derStandard.at: Wie hat sich die Causa rund um den Korruptionsverdacht gegen Verkehrsminister Limaj nach der Razzia von EULEX im Ministerium entwickelt? Haben sich bereits irgendwelche Beweise für Korruption bei Auftragsvergaben in 2008 und 2009 gefunden?

Muharremi: Nach der Razzia im Verkehrsministerium kam es zu einem verbalen Schlagabtausch zwischen Hashim Thaçi und Jakup Krasniqi (Parlamentspräsident des Kosovo, Anm.) auf der einen Seite und dem EULEX Chef-Staatsanwalt auf der anderen. Ein Interview des Chefanklägers Johannes van Vreeswijk gegenüber der Tageszeitung Koha Ditore fiel wie eine Bombe, da er ausdrücklich und sehr direkt von klaren Beweisen für organisierte Kriminalität, Korruption, Bestechung in Millionenhöhe zu Lasten von Verkehrsminister Limaj sprach. Es war eine Reaktion auf Stellungnahmen von Thaçi und Krasniqi, dass EULEX kein Medienspektakel hätte anrichten müssen, dass es keine klaren Beweise gegen Limaj gäbe und das EULEX unprofessionell gearbeitet hätte.

derStandard.at: Warum wurde EULEX erst jetzt aktiv? Hinweise auf Korruption und Unterschlagung lagen ja offenbar schon länger vor?

Muharremi: Da kann ich nur spekulieren. Aus juristischer Sicht würde ich nur dann eine solche Aktion wagen, wenn ich stichhaltige Beweise habe. Informationen von Geheimdiensten müssen auch während eines Prozesses vertraulich behandelt werden, und da macht es Sinn, diese durch weitere Beweise zu untermauern, was wohl zu der Razzia geführt hat.

derStandard.at: In den Berichten zur Razzia im Verkehrsministerium wurde auch ein britisches Geheimdienstdokument erwähnt, in dem von einem ungenannten Minister die Rede ist, der 10 Millionen Euro veruntreut haben soll. Dabei kann es sich ja eigentlich nur um Limaj handeln?

Muharremi: Der Name wurde niemals genannt, aber alle Hinweise und Andeutungen gehen in diese Richtung.

derStandard.at: Fatmir Limaj ist ein ehemaliger UÇK-Kämpfer, der in Den Haag angeklagt und freigesprochen wurde und schließlich triumphal in den Kosovo zurückkehrte. Welche Bedeutung hat er für die Bevölkerung und Gesellschaft des Kosovo und wie wird auf die Korruptionsvorwürfe gegen ihn reagiert?

Muharremi: Die Öffentlichkeit ist schockiert, obwohl es bereits als offenes Geheimnis galt, dass es in seinem Ministerium nicht mit rechten Dingen zugeht. Sollte sich in der Tat erweisen, dass Limaj schuldig ist, wird das einen erheblichen Legitimationsverlust nicht nur für die Regierung bedeuten, sondern auch für diejenigen Politiker, die ihre politische Karriere auf ihrer Teilnahme in der UÇK aufgebaut haben.

Das ist eine Gruppe, die nicht staatsmännisch denkt, sondern immer noch im Sinne von Rebellion, Guerilla und Widerstand. Sehr viele wissen, dass sie in den letzten Jahren – salopp gesagt – ziemlich viel verbockt haben mit organisierter Kriminalität und Korruption. Sie vermuten deshalb, dass sie es nicht lange in der Regierung machen werden. Für sie ist das jetzt die Gelegenheit, sich zu bereichern und nachher den Abgang zu machen. Wir haben ein Problem in den Köpfen derjenigen, die jetzt die Regierung führen.

derStandard.at: Anfang April fand im Kosovo eine Regierungsumbildung statt. Welchen Zweck hatte das?

Muharremi: Die Regierung ist natürlich in einer Legitimationskrise. Sie ist sich bewusst, dass sie auch in der internationalen Öffentlichkeit unter starker Bedrängnis steht. Irgendwie muss sie wieder an Glaubwürdigkeit gewinnen und dafür braucht sie eine Art künstliche Beatmung. Das schaffen sie, indem sie neue Namen in die Regierung bringen.

Das Problem ist nur, dass die Schlüsselministerien, wo die großen öffentlichen Ausgaben getätigt werden, unberührt gelassen wurden. Das sind Transport und Kommunikation, Finanzen und Bildung und dort liegen auch die wichtigen parteipolitischen Machtzentren. Das Ministerium für Transport und Kommunikation gehört zu den sogenannten Untouchables der Regierungspartei PDK . Ich kann mir nicht vorstellen, dass Premierminister Thaçi Verkehrsminister Limaj sagen darf, er soll doch bitte sein Amt quittieren.

derStandard.at: Wie wirkt sich dieser Politikstil auf die Bevölkerung und die Gesellschaft aus? Wenden sich die Kosovaren von ihrem Staatswesen ab?

Muharremi: Es findet eine Entfremdung statt, eine Art Resignation der Zivilgesellschaft. In der Bevölkerung merkt man immer mehr Frustration, Enttäuschung, Machtlosigkeit. Man kann allerdings die Regierung kaum angreifen, weil sie von der internationalen Präsenz im Kosovo nicht nur geduldet, sondern gehätschelt und getätschelt wird.

Wir sehen den US-Botschafter, dann sehen wir Pieter Feith, dann sehen wir EULEX, wie sie einen Kniefall vor dem Premierminister und dem Präsidenten machen. Die Vermutung liegt nahe, dass es eine Art unheilige Allianz zwischen der internationalen Gemeinschaft und der kosovarischen Regierung gibt nach dem Motto: Wir brauchen jetzt Stabilität und Ruhe im Kosovo. Und wie erkaufen wir uns diese Stabilität und Ruhe? Indem wir die lokalen Machthaber gewähren lassen, sich zu bereichern.

derStandard.at: Die Vorwürfe der Verstrickung in organisierter Kriminalität und Korruption lasten schon seit Beginn der kosovarischen Unabhängigkeit auf der Regierung. Warum ist es so schwierig wirklich handfeste Beweise für Korruption zu finden?

Muharremi: Die Regierung im Kosovo kontrolliert insbesondere über das Justiz- und Innenministerium die wesentlichen rechtstaatlichen Einrichtungen des Landes. Sie kontrolliert die Medien, sie kontrolliert eigentlich unabhängige Einrichtungen und Behörden und infiltriert sie mit regierungs- oder parteinahen Mitgliedern. Ein Beispiel: Es gab vor einiger Zeit einen Diebstahl im Sicherheitsraum der Polizei, wo nicht nur Drogen, sondern auch Beweismaterial gestohlen worden sind und nichts ist passiert. Man sieht daran, dass es ein Vertuschungsprogramm gibt.

derStandard.at: Zwischen den Jahren 1998 und 2008 hat die internationale Gemeinschaft rund drei Milliarden Euro in den Kosovo gepumpt, bis 2011 soll es noch einmal mehr als eine Milliarde sein. Die UN und die EU haben 2008 Berichte erstellt, aus denen hervorgeht, dass viele dieser Gelder im Kosovo versickert sind, und dass an Korruption im Kosovo auch internationale Mitarbeiter beteiligt waren. Sie waren selbst als Berater der UNMIK tätig. Haben Sie Einblick in solche Fälle?

Muharremi: Wenn es irgendwelche korruptiven Tätigkeiten geben soll, kann man das zwangsläufig nur gemeinsam machen, weil kosovarische Einrichtungen mit internationalen Konsortien zusammenarbeiten, die hier bestimmte Projekte durchführen. Direkte Beweise für Korruption sind aber unmöglich zu liefern, weil es sich da um einen engen Kreis von Personen handelt. Es kann nur auffliegen, wenn es eine Kollision gibt zwischen lokalen und internationalen Beteiligten.

Das Gefährliche ist das große Schweigen und Vertuschen der internationalen und lokalen Beteiligten. Man hatte ja nach dem Start von EULEX sehr große Hoffnungen, dass damit tatsächlich rechtsstaatliche Strukturen nach europäischen Maßstäben eingerichtet und auch durchgesetzt werden. EULEX war aber bis jetzt die allergrößte Enttäuschung, weil die Erwartungshaltung so groß gewesen ist, so große Kapazitäten hineingesteckt worden sind und nichts dabei herausgekommen ist.

Es ist ja nicht nur Korruption, sondern auch die Verschwendung von Steuergeldern. Angesichts der Finanzlage in Europa ist es schade, dass man hier Gelder ohne ausreichende Kontrolle innerhalb und außerhalb des Kosovo einfach so vergeudet. Mit all diesen Mitteln könnte man den Kosovo auf Sozialhilfe stellen und dann wäre das Kosovo-Problem schon gelöst. Keiner würde sich mehr um die Frage der Unabhängigkeit scheren.

derStandard.at: Den Kosovo auf Sozialhilfe zu stellen ist sicher eine überspitzte Formulierung, um das Ausmaß der verschwendeten Mittel zu illustrieren. Was müsste sich denn im Verhalten der europäischen Institutionen ändern, damit diese Verschwendung aufhört?

Muharremi: Wir haben hier eine Rivalität zwischen den Geldgebern. Neben der EU gibt es ja noch die bilateralen Geldgeber: also Deutschland, Österreich, Italien und Frankreich, die wiederum ihren eigenen Projekten nachgehen und über eigene Kanäle Gelder in den Kosovo schicken. Jeder versucht damit direkt oder indirekt Einfluss auf die Politik zu nehmen. Das führt natürlich dazu, dass jeder versucht, mehr Geld auszugeben und mehr Einfluss zu bekommen. Letztendlich sind die Kosovaren überwältigt davon. Was die Kosovaren brauchen, ist gezielte, sorgfältige und effiziente Projekt- und Geldgebertätigkeit. Und das was bisher im Kosovo gelaufen ist, ist nur Geldverschwendung.

derStandard.at: Die Unabhängigkeit des Kosovo ist von europäischen Staaten wie Spanien vor allem wegen der eigenen Minderheitenfragen bisher nicht anerkannt worden. Und auch die Position Russlands zur Kosovo-Frage ist stark von den Problemen der Föderation im Kaukasus geprägt. Fühlt man sich auch als Spielball der Weltpolitik?

Muharremi: Das ist ein immer wieder herangeführter Grund, warum Spanien, Zypern oder auch Rumänien die Unabhängigkeit des Kosovo ablehnen: Weil das einen Präzedenzfall schaffen könnte, der Auswirkungen auf die innenpolitische Situation dieser Staaten haben könnte. Ich würde das als Argument nicht überstrapazieren. Es hat vielmehr damit zu tun, dass man die Kosovo-Frage nicht isoliert vom restlichen Balkan betrachten kann. Sie ist verbunden mit der mazedonischen Problemlage, sie ist verbunden mit Bosnien. Dieses sich gefangen sehen in der Region, abhängig zu sein, von einer Gesamtlösung für den Westbalkan, führt dazu, dass man sagt: Da wird unser Fortschritt eventuell gehemmt.

derStandard.at: Derzeit läuft ja beim Internationalen Gerichtshof (IGH) auf Initiative Serbiens eine Überprüfung der völkerrechtlichen Grundlage der Unabhängigkeit des Kosovo. Welches Urteil erwarten Sie da?

Muharremi: Die Frage, die die UN-Vollversammlung gestellt hat, ist ja nicht die Rechtmäßigkeit der Unabhängigkeit des Kosovo an sich, sondern die der Provisional Institutions of Self Governance (PISG) des Kosovo. Rein juristisch ist das ein Unterschied. Denn die PISG waren ja die Regierungsorgane, die unter dem Constitutional Framework geschaffen worden sind und in diesem Rahmen gewisse Hoheitsaufgaben erfüllt haben. Allerdings unter der Hoheit von UNMIK und der Resolution 1244.

Die Frage ist taktisch sehr geschickt, weil sie nicht den Kosovo an sich anführt. Kosovo würde automatisch Fragen nach Volk, Selbstbestimmungsrecht und sonstige allgemeine Probleme völkerrechtlicher Art nach sich ziehen. PISG dagegen ist sehr konkret und spezifisch auf die Rechtmäßigkeit eines Organs gemünzt. Wenn also der IGH zu der Erkenntnis kommt, das PISG habe entgegen der Resolution gehandelt, also völkerrechtswidrig, dann hat das mit dem Kosovo als solches nichts zu tun. Politisch allerdings wird keiner diesen feinen Unterschied machen.

Die Meinung des IGH ist juristisch zwar nicht verbindlich, aber politisch enorm gefährlich. Wenn er zu einer Zwischenmeinung kommt, könnte sich das Kosovo-Problem noch über Jahre hinziehen. Wenn er allerdings den Kosovaren Recht geben sollte, wie kann man dann den bosnischen Serben die Abspaltung von Bosnien verweigern? Wenn der IGH für Serbien entscheiden sollte, dann haben wir ein politisches Problem im Kosovo.

derStandard.at: Nun existieren ja nicht nur diese institutionellen Parallelstrukturen im Kosovo, sondern das Land ist faktisch geteilt in einen albanisch und einen serbisch kontrollierten Teil. Wie problematisch ist diese Teilung im Alltag und lässt sich diese Teilung überwinden?

Muharremi: Für einen Kosovaren, der seinen Lebensmittelpunkt in Prishtina hat, ist das nicht zu spüren. Wenn ich es praktisch betrachte: Wann war ich zuletzt im Norden des Kosovo, also nördlich des Ibar-Flusses? Das ist wirklich schon 30 Jahre her. In den letzten zehn Jahren habe ich mich nicht rüber getraut, genauso wie viele Serben sich nicht rübertrauen. Was im Kosovo stattfindet, ist eine de facto Teilung des Landes.

Die Strategie Serbiens ist offensichtlich: Im Norden erlauben sie gar keine Herrschaftsausübung durch die Republik Kosovo. Südlich des Ibar machen die Serben bei der angestrebten Dezentralisierung mit und schaffen so serbisch kontrollierte Gemeinden. Ich weiß nicht, ob die Rechnung von Pieter Faith und der Regierung aufgeht, über Dezentralisierung die kosovarische Hoheitsgewalt auch auf den Norden auszudehnen. Ich denke, das spielt eher denen in die Hände, die eine faktische Teilung des Kosovo anpeilen.

derStandard.at: Zuletzt hat die temporäre Abschaltung serbischer Mobilfunknetze im Kosovo wieder für Spannungen zwischen den beiden Volksgruppen gesorgt. Die kosovarische Regierung hat gesagt, die Aktion hätte keinen politischen Hintergrund gehabt, sondern sollte nur ein Chaos im Telekommunikationsbereich beheben. Die serbischen Mobilfunknetze würden zudem illegal betrieben, da sie im Kosovo nicht lizenziert sind. Was ist von dieser Begründung zu halten?

Muharremi: Das serbische Mobilfunknetz ist in der Tat nicht von der Telecommunication Regulatory Authority (TRA) des Kosovo lizenziert. Diese Aktion ist im Zusammenhang mit der anstehenden Privatisierung der Post & Telecommunication Kosovo (PTK) zu sehen. Es geht darum, möglichen Investoren zu zeigen, dass illegale Netzbetreiber im Kosovo nicht geduldet werden, um so mehr Investoren anzulocken. PTK privatisieren zu wollen, ohne Investoren zu zeigen, dass sich das Geschäft lohnen wird, macht ja keinen Sinn. Und eine Duldung von illegalen Betreibern schmälert das Geschäft.

Politisch macht diese Aktion kaum Sinn, weil nun die Gefahr droht, dass im Norden des Kosovo die lizenzierten Netze von den Serben ausgeschaltet werden. Zwei von IPKO (kosovarische Mobilfunkgesellschaft, Anm.) betriebene Rundfunkmasten wurden im Norden bereits beschädigt und ausgeschaltet. Ausserdem besteht auch die Gefahr von offiziellen serbischen Gegenmaßnahmen, wie zum Beispiel eine Störung oder Unterbrechung der Telefonlinien, da der Kosovo immer noch vom serbischen Netz abhängt und auch international immer noch die Landesnummer Serbiens benutzt.

derStandard.at: Von wem ist diese Aktion ausgegangen?

Muharremi: Offiziell hat die TRA das gemacht. Aber ohne Einwilligung der Regierung und insbesondere der US-Botschaft wäre es sicherlich nicht möglich gewesen, die Netze abzuschalten. Letzteres kann aber, wie sehr oft, nicht nachgewiesen werden.

derStandard.at: Nun leben aber die meisten Serben und damit auch die Mehrzahl der Nutzer der serbischen Netze im Norden des Kosovo. Warum hat man darauf verzichtet, die Netze auch dort abzuschalten? Hat man mit unkalkulierbarem Widerstand gerechnet?

Muharremi: Das vermute ich auch. Es zeigt aber auch noch einmal, dass im Norden des Kosovo die kosovarische Staatsgewalt komplett fehlt.

derStandard.at: Nach der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo weigerten sich die serbischen Polizeikräfte im Kosovo für den neuen Staat zu arbeiten. Belgrad rief zum Boykott der Kommunalwahlen im vergangenen Jahr auf. Welchen Einfluss hat Serbiens Haltung auf das politische Verhalten der Serben im Kosovo?

Muharremi: Belgrad ist federführend im politischen Verhalten der Serben des Kosovo. Sowohl in der kompletten Abwehrhaltung im Norden, als auch in der schrittweisen Abwehrhaltung im Süden des Kosovo. Die serbische Bevölkerung befindet sich im Grunde genommen in einer Sandwich-Position. Ohne eine Integration in den Kosovo werden die serbischen Gemeinden zu Ghettos. Die jungen Leute fliehen, weil sie keine berufliche Perspektive haben.

Was übrig bleibt sind Ältere und Statthalter, die der Regierung Belgrads treu sind. Die werden aber immer älter und irgendwann auch aussterben. Wenn das so weitergeht, ist das Kosovo-Problem zumindest südlich des Ibars gelöst, weil es kaum noch Serben dort geben wird. Von kosovarischer Seite aus wird aber auch nicht genug getan, um die Serben zu integrieren. Ich sehe nicht, dass auf die Bedürfnisse der serbischen Bevölkerung im Kosovo eingegangen wird.

derStandard.at: Österreich hat die Länder des ehemaligen Jugoslawiens im vergangenen Jahr in die Liste der sicheren Herkunftsländer aufgenommen. Deutschland hat im April dieses Jahres ein Rückführungsabkommen mit dem Kosovo vereinbart, die Schweiz im Februar. Ist der Kosovo bereits sicher genug, um Flüchtlinge in größerem Ausmaß zurückzunehmen?

Muharremi: Tatsache ist, dass die Kriegshandlungen beendet sind und selbst KFOR die Sicherheitslage als nicht bedrohlich einschätzt. Dies ist richtig, soweit unmittelbare militärische Handlungen gemeint sind. Allerdings besteht wegen der ungeklärten und gespannten politischen Verhältnisse zwischen Kosovo und Serbien und den serbischen Strukturen innerhalb des Kosovo eine latente Gefahrenlage, die sich sehr schnell zu einem bewaffneten Konflikt vermutlich auf niedriger Ebene entwickeln könnte. Die Märzunruhen von 2004 haben dies deutlich vor Augen geführt.

Ein Gefahrenpotential besteht aber in der desolaten wirtschaftlichen Situation und der sozialen Unsicherheit, in der sich die Kosovaren befinden. Mehr Druck zu schaffen, indem man die Bevölkerungszahl durch Rückkehrer steigen lässt, die ihrerseits im Kosovo kaum eine wirtschaftliche Perspektive haben, kann nach einiger Zeit sozialen Sprengstoff anhäufen, der sich entweder auf Minderheiten oder sonstige gesellschaftliche Randgruppen entladen könnte.

derStandard.at: Welche Chancen aber auch Konflikte ergeben sich aus der Rückkehr von Kriegsflüchtlingen in den Kosovo?

Muharremi: Die Rückkehr ist unumgänglich, da die meisten Kosovaren die rechtlichen Bedingungen für einen Aufenthalt als Flüchtlinge nicht mehr erfüllen. Ihre Rückkehr in den Kosovo stellt sie, und insbesondere die jungen Kosovaren, die im Ausland geboren, aufgewachsen, zur Schule gegangen und sich in die dortige Gesellschaft integriert haben, vor große Integrationsprobleme im Kosovo. Es ist schon ein kultureller Unterschied, sich den Lebensregeln im Kosovo anzupassen, insbesondere wenn man in eine ländliche Gegend zurückkehrt.

Auch sind die Entwicklungsmöglichkeiten talentierter Jugendlicher eingeschränkt. Die Gefahr besteht, dass die jungen Kosovaren Schwierigkeiten haben werden, ihre Identität nach einem solchen Kulturwechsel zu finden bzw. zu wahren. Auf der anderen Seite ist es für den Kosovo und seine Gesellschaft unerlässlich, dass mehr im Ausland aufgewachsene und sozialisierte junge Menschen ins Land kommen, um hier vor Ort schrittweise zu einem kulturellen Wandel nach europäischen Wertmaßstäben beizutragen. Des einzelnen Leid, kann unter Umständen zum allgemeinen Wohl dienen, aber wer sollte dazu schon verpflichtet werden.

derStandard.at: Aus Berichten und persönlichen Gesprächen mit Betroffenen habe ich den Eindruck gewonnen, dass zurückkehrenden Kosovaren in ihrem Heimatland von den dort bereits lebenden Kosovaren oftmals feindlich begegnet wird. "Erst lasst ihr uns im Stich und jetzt wollt ihr von dem wenigen, was da ist, noch einen Anteil haben", würden sie zu hören bekommen. Können Sie diese Eindrücke bestätigen?

Muharremi: Ich glaube, dass dieses Problem im Kosovo weniger ausgeprägt ist, als in Bosnien, Kroatien oder auch Serbien. Die sehr engen familiären Bindungen zwischen Kosovaren aus dem Kosovo und der Diaspora absorbieren zu einem großen Teil solche Feindseligkeiten. Natürlich sind solche Aussagen auch im Kosovo zu hören, aber die Ursachen sind dann eher wirtschaftliche und räumliche Gründe, die "Alteingesessene" und "Neuankömmlinge" zu Feindseligkeiten antreiben. Ich persönlich habe auch solche Erfahrungen gemacht, aber mit dem schlichten Satz "ohne die Diaspora hätte es auch euch nicht gegeben" war dann das Thema beendet. Kosovo ohne Diaspora ist wirtschaftlich und kulturell nicht vorstellbar. (Andreas Bachmann, derStandard.at, 20.5.2010)