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Naturgewalt trifft Arbeitsrecht - und bereitet Kopfzerbrechen

Foto: AP/Damian Dovarganes

Wien - Während der Flugbetrieb in Europa allmählich wieder normal läuft, staubt es bei der Frage, ob Firmen urlaubenden Mitarbeitern, die festsaßen, ihre Gehälter weiter zahlen müssen, teils gewaltig: Ja, finden Arbeiterkammer und Gewerkschaft. Nein, sagt die Wirtschaftskammer (WKÖ): Arbeitgeber hätten keine Verpflichtung zur Entgeltfortzahlung.
"Entweder der Dienstnehmer nimmt sich für diese Zeit weiter Urlaub, oder es besteht kein Anspruch auf Gehalt", sagt Rudolf Gleißner von der WKÖ. Bei dem Ausbruch des Eyjafjallajökull handle es sich um ein Elementarereignis, das die Allgemeinheit betroffen habe. "Politische Konferenzen mussten abgesagt werden", argumentiert Gließner.

Juristen sprechen von einer "neutralen Sphäre", die weder Arbeitnehmern noch Arbeitgebern zuzuordnen sei. In diesem Fall müsse der Dienstgeber das Gehalt nicht weiterzahlen. Der Oberste Gerichtshof hatte in einem Entscheid Seuchen, Krieg, Revolution und Terror angeführt, aber auch Generalstreiks oder Verkehrsstreiks als die Allgemeinheit betreffende Ereignisse angeführt. Arbeiterkammer und Gewerkschaft argumentieren hingegen, es seien nur Menschen betroffen gewesen, die wegen abgesagter Flüge festsaßen - und nicht die Allgemeinheit.

"Keine neutrale Sphäre"

"Im Fall der Flugausfälle handelt es sich meines Erachtens eindeutig um eine Dienstverhinderung der Arbeitnehmer und nicht um eine sogenannte neutrale Sphäre", sagt der auf Arbeitsrecht spezialisierte Rechtsanwalt Thomas Majoros zum Standard. Hier müssten seiner Meinung nach die Betroffenen für diese Zeit ihr Geld weiter erhalten. Es gebe OGH-Entscheidungen zu umfangreichen Verkehrsbehinderungen wegen außergewöhnlicher Schneefälle, "und mir ist kein Fall bekannt, in dem nicht zugunsten der Arbeitnehmer entschieden wurde", sagt Majoros. Wie lange das Gehalt weitergezahlt werden muss, sei nicht eindeutig. Majoros: "Man geht von rund einer Woche aus." 

Der Arbeitsrechtsexperte Kurt Wratzfeld ist gegenteiliger Meinung: "Bei den Folgen des Vulkanausbruchs ist sehr wohl noch von einem Naturereignis auszugehen, das in die neutrale Sphäre fällt." Nur weil nicht alle Angestellten eines Betriebes ferngeblieben sind, heiße das noch nicht, dass nicht die Allgemeinheit betroffen sei. Daher bestehe keine Pflicht, das Gehalt weiterzuzahlen. Auch sei es "volkswirtschaftlich besser, den Schaden auf viele zu verteilen". (Bettina Fernsebner-Kokert, DER STANDARD, Printausgabe, 23.4.2010)