Ein gängiges Brüsseler Sprichwort sagt: "Wenn in Belgien mehr die Sonne scheinen würde, so wäre es Italien." Das Bonmot zielt auf die gemütliche, leichte Lebensart der Belgier ab: Die Verwaltung ist chaotisch, aber man weiß sich zu helfen. Die Leute essen und trinken gerne in Gesellschaft, Qualität und Auswahl an Wein und Bier sind beachtlich. Und wenn es nicht regnet, stürmen die Leute die Terrassen - auch im Februar und im November.

Aber nahe der Nordsee regnet es oft. Dafür scheint sich Belgien neuerdings dem Italien, wie man es früher kannte, politisch immer mehr anzunähern: In immer kürzeren Abständen stürzen die Regierungen. Die Parteienlandschaft ist zersplitterter denn je. Der Verlust der Zentralmacht gegenüber den Regionen und den Gemeinden - traditionell nie sehr groß - ist deutlich zu spüren.

Trotzdem steht Belgien gar nicht so schlecht da. Nach einem langen, zähen Sanierungskurs ist es etwa beim Budget im guten EU-Mittelfeld, trotz hoher Schulden. Gesellschaftspolitisch erweist es sich seit Jahren als Vorreiter, von Homo-Ehe bis zur Amnestie für Einwanderer. Nur der Kulturkampf zwischen Flamen und Wallonen, der scheint unauflöslich. Man sollte dieses Problem aber nicht überschätzen. Vieles daran ist Säbelgerassel. Das Scheitern der Regierung hat vor allem einen Namen: Yves Leterme. Ihm fehlt die Fähigkeit der Vermittlung. Der König sollte den Liberalen Guy Verhofstadt zurückholen, der kann es. (Thomas Mayer, DER STANDARD, Printausgabe 23.4.2010)