Zur Person:

Nasser Al-Bahri (38) verbrachte vier Jahre, 1996 bis 2000, als Leibwächter an der Seite von Osama Bin Laden. Er brach vor zehn Jahren mit Al-Kaida und wurde zum ersten CIA-Informanten aus dem innersten Kreis der Terrorgruppe.

Foto: Karim Ben Khelifa/OEIL Public

STANDARD: Osama Bin Laden wurde schon verschiedentlich für tot erklärt. Wissen Sie Genaueres?

Al-Bahri: Ich bin sicher, dass er noch lebt. Selbst wenn sein Tod nicht sofort bestätigt würde, wüsste man in Jihad-Kreisen Bescheid, und das würde nicht lange geheim bleiben. Er ist wohl in Afghanistan, wo er Al-Kaida - im Unterschied zu anderen Ländern - noch direkt leitet. Dort ist er zudem sicherer als in Pakistan. Wahrscheinlich genießt er den Schutz eines Stammes.

STANDARD: Warum verließen Sie ihn im Jahr 2000?

Al-Bahri: Wir hatten Meinungsverschiedenheiten. Vor allem ertrug ich es nicht, dass bei unseren Attentaten unschuldige Zivilisten starben.

STANDARD: Was war Ihre Aufgabe als Leibwächter Bin Ladens?

Al-Bahri: Ich war sein persönlicher Leibwächter und verantwortlich für seine Garde, die aus Jemeniten bestand. In dieser Funktion organisierte ich all seine Bewegungen außerhalb der Zentrale. Ich trug eine Pistole an mir, die er mir selbst gegeben hatte, mit dem Auftrag, ihn umzubringen, wenn er in Gefangenschaft zu geraten drohe. Er sagte mir: "Ich will nicht in Haft, sondern als Märtyrer sterben. Töte mich mit zwei Kugeln, bevor mich die Amerikaner ergreifen."

STANDARD: Waren Sie jemals nahe daran, ihn zu töten?

Al-Bahri: Die Frage stellte sich überhaupt nur einmal, im Jahr 1999, auf dem Weg zwischen Kandahar und Kabul. Aber ich hätte damals Mühe gehabt, ihn zu eliminieren, er war unser Anführer und mir ein wichtiger Scheich. Heute bedauere ich das; ich denke, ich hätte ihn töten sollen.

STANDARD: Wie würden Sie Bin Laden beschreiben?

Al-Bahri: Er ist ein Mann normaler Erscheinung, immer ruhig, überlegt, der nie die Fassung verliert. Anfangs erschien er mir wie ein idealer Mensch. Er ist hochgewachsen - beim Volleyballspielen muss er kaum springen, um am Netz zu smashen -, mag Pferderennen und spielt gerne Fußball, wobei er seinen Turban nie abnimmt. Auch liest er viel, unter anderem von westlichen Feldstrategen wie de Gaulle oder Montgomery.

STANDARD: Sein Familienleben soll nicht einfach sein.

Al-Bahri: Seine vierte Frau war erst 17, als er sie heiratete. Als sich seine Kinder beklagten, sie sei jünger als sie, entschuldigte sich Bin Laden, man habe ihm gesagt, sie sei schon 30. Mir fiel auf, dass er seine Familie knapp hält. Er sagt ihr, das Geld diene nicht ihr, sondern dem Islam.

STANDARD: Sie verließen Bin Laden vor den Attacken auf das World Trade Center in New York 2001. Wussten Sie etwas davon?

Al-Bahri: Wir hörten natürlich, dass ein großer Coup bevorstehe. Doch selbst im Umkreis von Bin Laden waren nur die wenigsten im Bild. Er selbst ließ ein Satellitenfernsehen installieren, um die Berichte in den westlichen Medien über die Attentate live verfolgen zu können. Die Übertragung klappte aber in den afghanischen Hügeln sehr schlecht.

STANDARD: Trafen Sie Mohammed Atta, das Hirn der Anschläge auf die Twin-Towers?

Al-Bahri: Ja, und das erste Mal an einem geschützten Ort in Pakistan, wo er gerade an einer Playstation saß. In dem Videospiel flog er gerade ein Flugzeug.

STANDARD: Wie waren Sie 1996 mit Al-Kaida in Kontakt getreten?

Al-Bahri: Als ich die Fernsehbilder über die Massaker in Bosnien-Herzegowina, Afghanistan oder Palästina sah, wollte ich am Jihad teilnehmen und als Märtyrer sterben. Ich verließ meine Familie, die wie Bin Laden aus Saudi-Arabien stammt, und trat in Al-Kaida ein. Ich kämpfte in Bosnien, Somalia, Jemen und Tadschikistan, be-vor ich Bin Ladens Leibwächter wurde. (DER STANDARD, Printausgabe 24./25.4.2010)