Hinter dem Westbahnhof: Wo die Mariahilfer Straße ihr betrübtes Gesicht zeigt.

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Der Anschlag auf das Sikh-Gebetshaus in der Pelzgasse vor einem Jahr brachte Rudolfsheim-Fünfhaus wieder einmal ins Gerede.

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Frau Marion verkauft seit 25 Jahren Gemüse am Meiselmarkt: "Es hat sich viel geändert."

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Rote Bastion: Die Sozialdemokraten verteidigen bei der Gemeinderatswahl 51 Prozent. Quelle: wien.gv.at

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Auch bei der Bezirksvertreterwahl gab es 2005 große Zustimmung für den Vorgänger von Vorsteher Gerhard Zatlokal. Quelle: wien.gv.at

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Wahlwerbung in Krisenzeiten: Vor schummrigen Wettcafés verspricht der Kanzler den Bewohnern im 15. Bezirk, es sei "Zeit für Gerechtigkeit".

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Wien - Drinnen in der Verkaufshalle stecken sie Grillhendl auf den Spieß, und draußen stellen die Händler ihre schönsten Salatköpfe nach vorne. Fleisch und Fisch, Obst und Gemüse, dazu allerhand billige Mode bieten die Standler am Wiener Meiselmarkt feil. Die Geschäfte gehen passabel an diesem Vormittag. Aber: "Wohnen möcht' ich da nicht", sagt der Trafikant an der prominenten Ecke Johnstraße / Hütteldorferstraße.

Keine Café-Latte trinkenden Studenten

Am Westbahnhof, wo die Wiener Mariahilfer Straße aufhört, eine schicke Einkaufsstraße zu sein, beginnt Rudolfsheim-Fünfhaus, der 15. Gemeindebezirk. Die Modeboutiquen weichen hier Handyshops, türkischen Bäckern und Wettcafés. Man trifft hier keine Café-Latte schlürfenden Studenten mehr, die Stadt zeigt nun ihr mürrisches Gesicht.

Die Menschen sterben früher in Rudolfsheim-Fünfhaus. Mit 78,9 Jahren liegt Rudolfsheim-Fünfhaus bei der Lebenserwartung unter allen Bezirken auf den hintersten fünf Plätzen. Auch sonst stellen die Zahlen der Stadt Wien dem Gürtelbezirk kein gutes Zeugnis aus. Beim Einkommen ist man das Wiener Schlusslicht: 15.800 Euro netto verdient der durchschnittliche Rudolfsheimer. Vorne liegt der Bezirk bei einem anderen Wert: Fast ein Drittel der 71.000 Bewohner sind keine Staatsbürger, jeder zweite ist entweder selbst eingewandert oder ein Kind von Zuwanderern. Die Zahlen gründen nur zum Teil darauf, dass im Gegensatz zu anderen Bezirken wie dem benachbarten Ottakring hier das Hinterland mit seinen vornehmen Häusern im Grünen fehlt.

Morde, Einbrüche, sogar ein Kannibale

In die Schlagzeilen schafft es der traditionelle Arbeiterbezirk vor allem dann, wenn Boulevardzeitungen ihren Lesern mit Morden und Einbrüchen kalte Schauer über den Rücken jagen. In denen vergangenen Jahren hatte Rudolfsheim-Fünfhaus immerhin einen Kannibalen, einen 19-Kilo-Heroin-Fund, dazu das Attentat im Sikh-Tempel und manches blutige Ehedrama zu verzeichnen. Sogar die Anrainer der Schrebergartensiedlung auf der Schmelz wurden eine Zeitlang durch mysteriöse Morde verstört.

So schlimm, wie manche Zeitungen vermuten lassen, erscheint der 15. Bezirk aber dann doch nicht. Im großen und ganzen lebt es sich hier wohl nicht schlechter als in anderen Außenbezirken der Hauptstadt. Und darum drängen sich am Meiselmarkt auch ganz normale Leute, junge Mütter mit Kinderwägen, Studentinnen, dazwischen ein paar gutgelaunte Schulschwänzer. Nur vereinzelt sieht man ein paar Männer, die sich sich gegen Mittag ihr drittes Bier aufmachen und schwermütig in die Gegend schauen.

Aufwachsen neben dem Straßenstrich

Die Passanten am Meiselmarkt schimpfen zwar ein bisschen über "aggressive Jugendliche", über Kampfhunde und vor allem über den Straßenstrich an der Felberstraße, wo die Prostituierten ihre festen Plätze haben. Und ja, es werde viel eingebrochen und gerauft. Aber irgendwie arrangieren sie sich dann doch mit diesen Widrigkeiten. Die Leute halten zu ihrem Bezirk, ein bisschen wie zu einem Fußballverein, der die letzten Jahre nicht gut gespielt hat. Ein Frühpensionst erzählt zum Beispiel lachend vom öffentlichen Parkplatz auf der Felberstraße, wo Wiens Freier ihre Autos abstellen. Sein Enkel habe zu ihm gesagt: "Schau Opa, da ist ein Luftballon." Dabei sei ein Präservativ auf dem Boden gelegen.

Frau Marion drückt ihrer Kundschaft gerade einen Salat in die Hand. Seit 25 Jahren verkauft sie ihr Obst und Gemüse am Meiselmarkt. "Es hat sich gewaltig verändert", sagt sie und macht eine kurze Pause. "Zum Negativen." In der "Bawag"-Filiale ein paar Meter weiter sei schon dreimal eingebrochen worden, im "Wettpunkt"-Café um die Ecke noch öfter. Die Kinder spielen hier "in einem Türkenpark, in einem Serbenpark und so weiter", nur nicht gemeinsam, erzählt Frau Marion. Es sind keineswegs nur zartbesaitete Spießer oder unverbesserliche Ausländerfeinde, die in Rudolfsheim-Fünfhaus Problemzonen erkennen.

SPÖ-Bastion unter Beschuss

Politisch ist Rudolfsheim-Fünfhaus fest in sozialdemokratischer Hand. Bezirksvorsteher Gerhard Zatlokal muss diesen Herbst die 51 Prozent verteidigen, die seine SPÖ bei der Gemeinderatswahl 2005 im Bezirk erreichte. Damals war die Bürgermeisterpartei allerdings auf Bundesebene in Opposition - eine Rolle, die jetzt wieder die FPÖ spielt. Die Unzufriedenheit mancher Rudolfsheimer in Wählerstimmen zu münzen, ist die Aufgabe von FPÖ-Bezirksobmann Dietbert Kowarik. 2005 erreichte die FPÖ 16 Prozent der Stimmen (noch hinter den Grünen), 1996 waren es schon mal 32 Prozent. Die ÖVP musste sich 2005 mit 14 Prozent und Platz vier begnügen.

In diesen Tagen plakatiert die SPÖ ihren Kanzler in Wien, auch an den Straßenbahnhaltestellen rund um den Meiselmarkt verspricht der SPÖ-Chef eine "Zeit für Gerechtigkeit". Ein paar Meter weiter propagiert FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache fast Wortgleiches. "Endlich Gerechtigkeit" steht auf seinen Plakaten.

Alteingesessene nicht sehr zufrieden

Wie die Wahlen im Bezirk ausgehen, wird wohl davon abhängen, wie zufrieden die Menschen hier tatsächlich sind. Wenn man der Gemüseverkäuferin Frau Marion glauben darf, sollten sich der Bürgermeister und sein Bezirksvorsteher nicht zuviel erwarten. "Ich leb' vom Stammpublikum", sagt Frau Marion, "das musst dir erhalten." Viele Stammkunden würden sich über ihre Wohngegend mittlerweile beklagen. "Die kaufen sich lieber ein Häusl außerhalb von Wien als eine Eigentumswohung im Bezirk." Das Steigerl Erdbeeren gibt Frau Marion heute gratis her, darauf besteht sie. Nur eins: "Schreiben'S was Gutes über den Bezirk." (Lukas Kapeller/derStandard.at, 27.5.2010)