Peter Wagner: "Im Moment ist die politische Seite des Landes durch Hass vergiftet"

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Peter Wagner ist ein Unbequemer. Der burgenländische Autor und Regisseur hat mit seiner Aktion "unserburgenlandistanders" dazu aufgerufen, bei der Volksbefragung zum Asylzentrum in Eberau ungültig zu stimmen und sich gegen "populistische Angstmacherei" ausgesprochen. Im Interview mit derStandard.at erklärt Wagner, was er von der burgenländischen Politik hält und warum er sich wünscht, dass die SPÖ die Absolute nicht mehr erreicht.

derStandard.at: Sie haben dem burgenländischen Landeshauptmann Hans Niessl einen Offenen Brief geschickt (hier zum Nachlesen). Warum?

Peter Wagner: Ich hab mit Niessl vergangenen August gesprochen. Da hat er gesagt, er wird die FPÖ Burgenland bei der Wahl auf unter zehn Prozent drücken. Und ich hab ihm geantwortet, das wird nur gehen, wenn er sie rechts überholt – was er mittlerweile ja probiert. Damals hat er nur mit den Zähnen geknirscht und sich weggedreht. Dann kam die überfallsartige Aktion der Innenministerin Maria Fekter mit dem Asylzentrum in Eberau, und da hab ich erkannt, dass das für Niessl ein willkommener Emotionalisierungsfaktor war.

Von Anfang an hat er dieses Thema begierig aufgegriffen. Dieser "Überfall auf das Burgenland" durch die Innenministerin wurde zu seiner Programmatik. Er hat nie eine Alternative angeboten, und immerhin war er damals Chef der Landesleutekonferenz. Er hat nur auf brutale Abwehr gesetzt, aus rein wahltaktischem Kalkül.

derStandard.at: Hat Fekter Niessl mit der Aktion die Absolute ein weiteres Mal gesichert?

Wagner: Das wird man sehen. Ich neige einmal mehr dazu, die Leute für klüger zu halten, als man es sich gemeinhin vorstellt. Bei der zweiten Volksabstimmung zu diesem Thema gab es im Südburgenland nur 27 Prozent Wahlbeteiligung: In einem Land, in dem sich die Menschen zum wählen die Sonntagskleidung anziehen und das bei der Bundespräsidentenwahl die höchste Beteiligung hatte.

derStandard.at: Wie wird sich die Fekter-Überrumpelung auf VP-Kandidat Steindl auswirken?

Wagner: Problem ist, dass er kein öffentliches Profil hat. Zumal Niessl den Schmäh von Jörg Haider übernommen hat, wie aus der Opposition heraus zu agieren, obwohl man in der Regierung sitzt. Immer angriffig zu sein. Unter dem Rockschoß der Sozialdemokratie will er den Burgenländern dieses "Wir sind wir"-Gefühl einimpfen, dieses "Wir lassen uns von niemanden etwas sagen". Und bei diesem Paradoxon steht der Steindl in der Mitte, und weiß nicht, in welche Richtung er soll.

derStandard.at: Sie beschreiben in "Die Burgenbürger" eine Zeitreise des Burgenlandes und verwenden darin zwei hauptsächliche Rollen: die historische in Form von Fred Sinowatz und die gegenwärtige Rolle in Form von Faymann und Niessl. Was hatte Sinowatz, was die beiden nicht haben?

Wagner: Sinowatz hatte eine große Intuition für die Dynamik seiner Zeit. Die Leute wollten nichts mehr wissen vom Krieg, Aufbau hat dominiert, besonders im Burgenland. Da hat er Angebote gemacht, als Unterrichtsminister auch für ganz Österreich, die der Sozialdemokratie entsprochen haben: Bildung, Kunst und Kultur für alle, Schülerfreifahrten. Das Burgenland wurde von einem agrarischen Land zu einem fast-bürgerlichen. Das hat sich auch in der Bundespolitik manifestiert. Und wer hat den Sinowatz dann abgelöst? Vranitzky. Ein Banker. Den ich zwar schätze, aber als einen der ersten Selbstverweigerer der Sozialdemokratie sehe.

Faymann repräsentiert in diesem Prozess die momentane Spitze. Er ist die Symbolfigur einer Sozialdemokratie, die mit sich selbst und ihren Inhalten so merkwürdig unbewusst umgeht. Man hat das Gefühl, es wird Linie konstruiert und nicht mehr gelebt. Man schafft es nicht, die Angst vor den Zensuren der Öffentlichkeit zu überwinden. Dabei wäre das das einzig subversive Modell, gerade auch gegen den Boulevard.

derStandard.at: Wie groß ist dabei die Rolle der Boulevardmedien?

Wagner: Das ist leider der Punkt dieser demonstrativen Selbstaufgabe. Wenn Heinz Fischer im laufenden Wahlkampf zögerlich sagte, er werde auch der Kronen Zeitung trotzen, und sich dabei mutig vorkommt, ist das ein schlechtes Zeichen. Schlimmer ist nur noch das Anbiedern anderer, wie eben auch von Niessl.

derStandard.at: Aber kommt er deswegen mit seinen Inhalten durch?

Wagner: Das ist die Frage: Zu glauben man nutzt die Macht der Massenmedien, ohne das faktische Ergebnis zu kennen.

derStandard.at: Ursula Plassnik, Wolfgang Schüssel haben sich gegen die Kronen Zeitung gewehrt und wurden dann zumindest medial abgewatscht.

Wagner: Das ist das Interessante, dass die Konservativen da eine andere Standfestigkeit haben. Den fehlenden Widerstandsgeist mache ich der Sozialdemokratie ja zum Vorwurf. Denn sie wäre die einzige Bewegung, die durch ihre Strukturen mobilisieren könnte. Die FPÖ mobilisiert mit ganz anderen Verfänglichkeiten, aus schwelenden Konflikten heraus. Die Sozialdemokratie hätte die Möglichkeit, beispielhaft zu arbeiten und ihre Funktionäre auch zu binden.

Beispiel Eberau: Die Leute haben nicht zwischen Wirtschaftsflüchtlingen oder Asylwerbern unterschieden, die Partei hat nicht aufgeklärt, weil die Funktionäre nicht aufgeklärt wurden. Ich habe in ORF.at von einer Veranstaltung der SPÖ in Oberwart glesen, da sagt einer in die Kamera des ORF hinein sagt, "das sind alles zu 99,9 Prozent Gsindl." Diese Aussage blieb, obwohl als Schlagzeile groß dastehend, unwidersprochen. Bei einer Diskussionsveranstaltung Wochen später mit Niessl und mir steht ein Mann auf und sagt, dass es doch die Möglichkeit gäbe, die Asylwerber – bis zu einer guten Integration – mit einem Chip unter der Haut zu versehen. Da hab ich dann zum Niessl gesagt: "Sag jetzt bitte was, du bist immerhin der Landeshauptmann!"

derStandard.at: Und?

Wagner: Er hat mit angekeift: "Sag doch selber was!" "Nein", hab ich geantwortet, "verstehst du das nicht: Du bist der Landeshauptmann, von dir müssen die Worte kommen, als Landeshauptmann hast du auch moralische Instanz zu sein." Er ist ja ein unglaublich unflexibler und unspontaner Typ. Ich hab ihn dann auf das Pult gestoßen und er hat was gesagt. Aber so wirklich wollte er nicht. Das ist eben die Haltung: Lassen wir die Emotionen kommen, egal welche, Hauptsache, sie nützen mir.

derStandard.at: Aber wird so mancher Wähler, der Ausländer nicht mag, nicht eher zum Schmied (FPÖ) gehen als zum Schmiedl (SPÖ)?

Wagner: Würde ich annehmen. Das merkt man auch daran, dass von der FPÖ kaum Statements kommen. Die merken allzu genau, dass sie am besten gar nichts tun. Der Niessl strampelt in der populistischen Not, in der er sich befindet und in die er sich selbst hineinmanövriert hat. In einer der letzten Landtagssitzungen ist der FP-Chef Johann Tschürtz an das Rednerpult gegangen und hat gesagt: "Was Sie hier an Populismus abliefern, Herr Niessl, ginge sogar mir zu weit". Diese Häme!

derStandard.at: Niessl wird gerne als "Landesfürst" bezeichnet, Mensdorff-Pouilly ist in seiner Heimatgemeinde Luising ein angesehener "Graf". Warum neigen die Burgenländer eigentlich so zur Unterwürfigkeit?

Wagner: Das Burgenland ist das einzige Land, in dem es keinen Bauernaufstand gab. Die alten feudalen Strukturen sind bis zu einem gewissen Grad geblieben. Alles wird von oben bestimmt, so funktioniert es heute noch und so erwarten es auch viele noch. Wir haben keine Gesprächs- oder Diskussionskultur. Das Land besteht aus Mikroeinheiten, den Dörfern. Als ob das Burgenland nicht als Landeseinheit bestünde, sondern aus einer Vielzahl dieser dörflichen Biotope.

Seit 1921 Gendarmen aus Niederösterreich und der Steiermark kamen, um das Burgenland gegen die ungarischen Freischärler zu besetzen, erzählt man sich eine Episode, wonach einer dieser Gendarmen einen Burgenländer auf einem Feld getroffen habe. Er hat ihn gegrüßt und ihn gefragt: "Wo sind wir denn da? In Ungarn, oder noch in Österreich?" Geantwortet hat der Bauer mit: "Wissen Sie, das weiß ich nicht so genau. Wir sind da bei uns". Das Bild über die Welt hört mitunter beim Acker auf. Der Kosmos bewegt sich in dieser Überschaubarkeit. Man kann es sich schwer vorstellen, aber zu Ende der Leibeigenschaft war diese Tatsache für viele Bauern eine Katastrophe: Plötzlich frei zu sein. Mit dieser Freiheit etwas anzufangen. Plötzlich gab es keine Sicherheit mehr, keine Gewissheit. Und es hat sich dann auch sehr spät so etwas wie ein selbstbewusstes und politisches Bürgertum entwickelt.

derStandard.at: Welche Auswirkungen hatte das auf die Politik?

Wagner: Die feudale Abhängigkeit einer agrarischen Gesellschaft hat sich von den Fürsten weg zu den Parteien gerichtet. Selbst nach der Katastrophe des 2. Weltkrieges wollten sich die meisten noch immer in irgendeine Richtung binden. Und sind bei den politischen Parteien gelandet – bis vor zwanzig Jahren gab es ja nur SPÖ und ÖVP, und die waren mit der Situation absolut zufrieden.

derStandard.at: Wie wird die Wahl ausgehen?

Wagner: Ich wünsche mir, dass die SPÖ die Absolute verliert. Und aus diesem Grund anfangen muss, in sich und mit den anderen zu arbeiten. Es wäre eine Katastrophe, wenn der Niessl mit seinem populistischen Zauberlehrlingsgehabe recht behielte. Wenn wir Demokratie ernst nehmen, müssen wir folgerichtig wollen, dass die Kräfte zueinander finden. Im Moment ist die politische Seite des Landes durch Hass vergiftet, nämlich ganz im Gegensatz zu jener Gutmütigkeit, die dem Burgenländer so gerne unterstellt wird. (nik, rasch, derStandard.at, 5.5.2010)