Julya Rabinowich ist Botschafterin des "Europäischen Jahres gegen Armut und soziale Ausgrenzung".

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daStandard.at: Frau Rabinowich, was ist die Rolle der Botschafterin im Rahmen des "Europäischen Jahres gegen Armut und Ausgrenzung"?

Julya Rabinowich: Jeder Botschafter und jede Botschafterin kann ihre oder seine Rolle individuell interpretieren. Ich habe es für mich so dechiffriert, dass ich diese Öffentlichkeit, die mir nun geboten wird, dazu nutzen möchte, dezidiert auf jene Themen hinzuweisen, die mir wichtig sind. Das sind zum Beispiel Förderung der Kinder und speziell die Förderung der Sprachkenntnisse bei Migrantenkindern, schon im Kindergarten und in der Volksschule. Ich möchte darauf hinweisen, dass soziale Ausgrenzung schon in der Kindheit beginnt. Wenn man sie da nicht überwunden hat, wird es sehr viel schwieriger, aus einem gewissen Eck herauszukommen.

Bildung ist also ihr Schwerpunkt. Meinen Sie, dass Bildung präventiv gegen soziale Ausgrenzung wirken kann?

Rabinowich: Bildung ist nicht nur eine präventive Maßnahme, Bildung ist Menschenrecht! Ich fordere das gleiche Recht auf gleichwertige Bildung für jedes Kind, das in Österreich geboren ist oder hier aufwächst.

Armutsstatistiken belegen, dass Migranten in Österreich zu den armutsgefährdeten Gruppen gehören. Welche Umstände sind Ihrer Meinung nach dafür verantwortlich?

Rabinowich: Ohne Bildung und Sprache ist es unmöglich Karriere zu machen. Diese zwei Faktoren sind sehr vordergründig. Das Dritte ist das falsche Selbstbild vieler Migranten. Die Ablehnung, die sie vielleicht erfahren haben, hat sie verunsichert und sie trauen sich wenig zu. Ich habe jahrelang mit Asylwerbern gearbeitet und habe gesehen, wie viel Mühe sie sich geben um möglichst schnell die Sprache zu lernen und schnell zu durchschauen, wie man hier einen Job bekommt um anschließend auf sehr viel Ablehnung zu stoßen. Und das ist natürlich zutiefst demotivierend. Man versagt sich hier viele Chancen - für die Migranten und für das ganze Land. Da geht viel Potential verloren! Jemand, der am Anfang sehr offen ist, wird sich nach dieser Erfahrung wieder zurückziehen. Damit fördert man eine Ghettobildung, die keineswegs gesund ist. 

Österreich ist ein Einwanderungsland in dem nun die sogenannte zweite und dritte Generation lebt. Diese Jugendlichen sind stärker von der Arbeitslosigkeit betroffen als Gleichaltrige ohne Migratiosnhintergrund. Was wurde hier im Bildungssektor verabsäumt?

Rabinowich: Wenn bereits in der Volksschule signalisiert wird, dass diese Kinder weniger Wert sind als die anderen, oder wenn man sich nur anschaut, wie viele Kinder nur auf Grund der schlechten Deutschkenntnisse in Sonderschulen landen: Das ist ein Skandal! Es ist ein Skandal, wenn bereits in den ersten vier Schuljahren Minderbegabung unterstellt wird. Als Kind dagegen anzukämpfen ist unmöglich. Nach vier Jahren Volksschule gibt es diese zu frühe Trennung nach der Volksschule, das spielt einem Ständestaat in die Hände.

Welche Erfahrungen haben Sie mit dem österreichischen Bildungssystem gemacht?

Rabinowich: Ich persönlich habe sowohl gute als auch schlechte Erfahrungen gemacht. Ich kam in die zweite Klasse Volksschule, ohne ein Wort Deutsch zu können, hatte aber eine sehr engagierte Volksschullehrerin. Diese Erfahrung ist für mich einer der Gründe, weshalb ich darauf poche, Kinder gleich von Anfang zu fördern. Für mich war es klar, dass ich ins Gymnasium wechseln würde, für viele andere Migrantenkinder ist es keineswegs so klar. Mich haben Schule und Eltern gleichermaßen unterstützt. Im Gymnasium habe ich dann aber oft vermittelt bekommen, dass ich so, wie ich bin, nicht in Ordnung sei. Und ich weiß, was für eine Erschütterung das in der Selbstwahrnehmung erzeugen kann. Es gab also durchaus auch diese Erfahrung. Ich möchte hier noch darauf hinweisen, dass vor allem für jene Kinder, die keine Hilfe von den Eltern erwarten können, unterstützende Maßnahmen sehr wichtig sind. Man darf nicht alles auf die Eltern abwälzen. Weil diese aufgrund der eigenen fehlenden Bildung oft gar nicht fähig dazu sind. Das ist es unter anderem, was ich meine, wenn ich sage: Armut ist vererbbar. Sie reproduziert sich selbst, wenn dieser Kreislauf nicht unterbrochen wird!

Was versprechen Sie sich von diesem Aktionsjahr gegen Armut und Ausgrenzung? 

Rabinowich: Ich hoffe sehr, dass der Fokus der Allgemeinheit auf dieses Thema gelenkt wird. Ich hoffe, dass auch Ressourcen und Chancen wahrgenommen werden, es soll ja keine reine Schwarzmalerei sein. Das Buch von Martin Schenk sagt ja zum Beispiel "Es ist genug für alle da" und das glaube ich auch. Man muss schauen, wo Hilfe benötigt wird, damit man nicht im Endeffekt eine zweite und dritte verlorene Generation heranzüchtet. Es geht darum zu verhindern, dass Bildungsarmut vererbt wird.