Bild nicht mehr verfügbar.

Labour-Anhänger versuchen in Nordlondon, die Konkurrenten der Liberaldemokraten mit ihren Plakaten zu verdrängen. Hier gelingt es – am Wahltag wird es laut Umfragen teilweise schwieriger.

Foto: Reuters/Winning

Labour-Mann Nick Palmer könnte sein Mandat an die Tories verlieren.

Foto: Standard/Borger

Labour-Kandidatin Gloria de Piero kam aus London nach Ashfield.

Foto: Standard/Borger

Rückenwind verspüren die Kandidaten der Tories und der Liberaldemokraten. Ein Lokalaugenschein.

*****

Zwölf Stunden täglich ist Nick Palmer im Endspurt des britischen Wahlkampfes auf den Beinen. In Kimberley, Beeston und Bramcote geht der 60-Jährige von Haus zu Haus mit der immer gleichen Frage: "Kann ich mit Ihrer Unterstützung rechnen?" 13 Jahre lang hat der promovierte Mathematiker die westlichen Vorstädte von Nottingham im Londoner Unterhaus vertreten, nun bittet er um seine Wiederwahl. Im Anzug mit Krawatte, beschützt von einem schwarzen Regenschirm, könnte Palmer auch Missionar oder Vertreter sein - wenn nicht die große rote Rosette wäre, die ihn als Labour-Kandidaten kennzeichnet.

In Palmers Flugblättern ist von Gordon Brown gar nicht die Rede, von Labour nur am Rande. Viele Bürger erkennen ihn. "Sie waren ein guter lokaler Abgeordneter" , sagt eine pensionierte Lehrerin im Chesham Drive. "Vielen Dank für alles." Es klingt wie ein Nachruf.

In den 632 Bezirken Großbritanniens (Nordirland entsendet weitere 18 Abgeordnete) kämpfen die Labour-Kandidaten um ihr Mandat und den Fortbestand ihrer Regierung. Rund 150 Wahlkreise gelten als ‚Marginals‘, haben also knappe Mehrheiten.

Palmers Bezirk Broxtowe gehört dazu. Bis 1997 waren die Tories tonangebend, bei der letzten Wahl hatte Palmer nur noch 2139 Stimmen Vorsprung. Diesmal will Tory-Kandidatin Anna Soubry (53) das Mandat unbedingt zurückerobern. Ihre Flugblätter nennen "den Labour-Kandidaten" nicht einmal beim Namen, sondern sprechen von "Browns treuem Abgeordneten" . Die Unpopularität des Regierungschefs soll auf Palmer abfärben.

Tatsächlich liegt Labour wenige Tage vor der Wahl in allen Umfragen mit rund 28 Prozent deutlich hinter den Tories (34) und gleichauf mit den Liberaldemokraten (28). Deren Vorsitzender Nick Clegg hat durch glänzende TV-Auftritte das Profil seiner Partei geschärft. "Lokal merken wir davon kaum etwas", sagt Palmer und hofft auf liberale Leihstimmen. "Die konzentrieren ihre Anstrengungen wohl ganz auf Ashfield."

Der nördlich an Broxtowe angrenzende Wahlkreis war jahrzehntelang einer der sichersten Labour-Bezirke des Landes. Zuletzt vertrat Ex-Verteidigungsminister Geoff Hoon die Ansammlung heruntergekommener Städtchen rund um geschlossene Kohlenzechen im Parlament, 2005 betrug seine Mehrheit mehr als 10.000 Stimmen, die Liberalen landeten auf Platz drei. Und nun setzen sie auf Sieg?

"Ja, das ist zu schaffen. Natürlich wird es sehr knapp." Vince Cable, der finanzpolitische Sprecher und populärste Politiker des Landes, ist zum Blitzbesuch nach Ashfield gekommen. Am Ende des Wahlkampfes sind die Augen des 66-Jährigen blutunterlaufen, sein grauweißer Haarkranz um die Schädelglatze steht ungebärdig zur Seite, er spricht schleppend. Dabei gibt es, trotz bleierner Müdigkeit, Grund zu Optimismus.

Glamouröse TV-Reporterin

Dem Labour-Mann Hoon schadete der Spesenskandal, er scheiterte mit einer Rebellion gegen Parteichef Brown und warf im Februar das Handtuch. Um kein Vakuum entstehen zu lassen, setzte die Labour-Party dem Ortsverband eine glamouröse TV-Reporterin aus London vor die Nase. Das mögen viele Einheimische nicht, behauptet der liberale Kandidat Jason Zadrozny, der trotz seiner 29 Jahre schon einmal die Regierung des Landkreises führte. Der Abkömmling polnischer Einwanderer setzt ganz auf seinen Einheimischen-Bonus und die Schwächen der örtlichen Labour-Partei: "Die sind alt und völlig ideenlos."

Ortskenntnis haben sie jedenfalls nicht, die Labour-Helfer, die sich an diesem Tag auf einem Supermarkt-Parkplatz in Selston versammeln. "Ist denn kein Einheimischer hier?" , fragt Wahlkampf-Manager James Grugeon und verdreht die Augen. Per Megafon fordert die Schar die Bürger dazu auf: "Kommen Sie und sprechen Sie mit Gloria de Piero, der Labour-Kandidatin fürs Unterhaus."

Zweifler warnt die Tochter italienischer Migranten vor "einer Rückkehr der Tories" , dabei sind deren Chancen in Ashfield klein. Von den Lib-Dems mag sie nicht reden. "Wie froh ich bin, London hinter mir zu haben" , sagt sie. Dass sie als Abgeordnete doch wieder in London sein würde, tut de Piero unwillig ab: "Aber wohnen werde ich natürlich hier." (Sebastian Borger aus Broxtowe/DER STANDARD, Printausgabe, 5.5.2010)