
Johanna Borek: "Unsinnige Redeweise über die christliche europäische Identität."
Standard: "Europa als Übersetzungsraum" ist ein EU-gesponsertes Projekt, wobei Ihnen als Koordinatorin der - von Unterrichtsministerium und Stadt Wien geförderten - Wiener Konferenz "Übersetzen im Mittelmeerraum" das Hinausgehen über Europa wichtig zu sein scheint. Im Untertitel hieß die Tagung "Dekonstruktionen von Okzident und Orient" .
Borek: Weil man anhand von Übersetzungsprozessen zeigen kann, wie unsinnig die Redeweise über eine christliche europäische Identität ist. Uns ging es bei dieser Veranstaltung auch sehr stark um die Türkei, als Europa-zugehörig.
Standard: Es geht nicht "nur" um Sprache, sondern auch um, wie Sie sagen, "übersetzerische Vermischungstätigkeit" . Ist eine Übersetzung bereits ein Kommentar?
Borek: Für einen Subtext vielleicht. Mittlerweile hat sich in den Kulturwissenschaften der Begriff des kulturellen Übersetzens eingebürgert, den ich aber nicht wirklich losgelöst von dem tatsächlichen Übersetzungsvorgang, der nun immer mit Sprache zu tun hat, sehen möchte. Aber es ist ein wichtiger Begriff, mit dem man beim Übersetzen arbeiten kann.
Die Art und Weise, wie man übersetzt, ist abhängig vom historischen und kulturellen Kontext. Im Frankreich des 17. und 18. Jahrhunderts wurde mit der Maxime übersetzt, dass der übersetzte Text so klingen müsse, als hätte ihn ein Franzose geschrieben, was dann "les belles infidèles" , die schönen Untreuen, genannt wurde. Das ist als Metapher sehr aufschlussreich, weil das Übersetzen mittlerweile in erster Linie eine weibliche Tätigkeit geworden ist. Darauf würde ich gerne hinweisen, denn das Übersetzen selbst gilt ja als mindere Tätigkeit - die entsprechend schlecht bezahlt ist.
Standard: Aber nicht mehr im gleichen Ausmaß wie früher.
Borek: Wir versuchen, es zu ändern. Trotzdem wird eine Übersetzung immer mit dem sogenannten Original verglichen. Das heißt, die Übersetzung ist eine Zweitschrift. So wie die Frau eine Zweitschrift ist, historisch gesehen. Viele Überlegungen zum Übersetzen bewegen sich, ohne dass das den Leuten bewusst ist, in diesem Umkreis, das heißt, auch metaphorisch erscheint das Übersetzen sehr weiblich. Der Übersetzer wird dazu aufgefordert, dem Original gegenüber treu und demütig zu sein, die Übersetzung ist eine dienende, also eine weibliche Tätigkeit dem Original gegenüber.
Standard: Vor Wien gab es eine Tagung in Paris, die nächste ist in Neapel ...
Borek: Die Konferenz im September in Neapel trägt den Titel "Homelands in translation" , da geht es um Begriffe, die kulturell extrem schwer zu übersetzen sind wie eben "Heimat" . Im November gibt es in Neapel noch ein Übersetzungsfestival, das die ganze Stadt - die immer ein Bindeglied zwischen westlichem und östlichem Mittelmeerraum war - einbeziehen wird. Bei der Tagung in Paris ging es um Übersetzung und Psychoanalyse. Interpretation und Übersetzen sind sehr verwandte Tätigkeiten. Freud benutzt sehr bewusst eine Metaphorik des Übersetzens für die Arbeit des Analytikers: der Analytiker als Übersetzer des Textes, den der Analysand zwar hat, aber selbst nicht lesen oder deuten kann.
Standard: Hat diese Fragestellung noch etwas mit Sprache zu tun?
Borek: Ja, denn Freud benützt zwei Ebenen der Begrifflichkeit, eine deutsche und eine lateinische. Freud wählt als Sprache seiner Terminologie ganz bewusst beide: Libido und Sublimation einerseits, Trieb, Verdrängung, Deutung andererseits. Er benützt deutsche Begriffe, mit denen ganz andere Konnotationen möglich sind. Wie ein Schriftsteller lässt er die Sprache selbst arbeiten und formuliert in einer Weise, die seine Texte nicht auf eine Aussage reduzierbar macht.
Deshalb ist Freud so schwer zu übersetzen, und die alten Übersetzungen sind völlig ungenügend - aber sie haben die Freud-Rezeption in anderen Ländern geprägt. Ähnlich ist es ja bei Martin Heidegger: Die postmodernen Theoretiker arbeiten mit einem Heidegger, den es im Deutschen gar nicht gibt. (Gudrun Harrer/DER STANDARD, Printausgabe, 5. 5. 2010)