RIn Nordwestsibirien gibt es viele Öl- und Gasquellen, die seit Jahrzehnten Jobsuchende aus ganz Russland angezogen haben. Die lokalen obugrischen Sprachen Mansisch und Chantisch hingegen sind, nicht zuletzt durch die starke Migration, am Versiegen.

Nur noch 3000 Sprecher, fast ausschließlich aus der älteren Generation, beherrschen die zur finnougrischen Familie zählenden Sprachen. Diese zu dokumentieren und zu erhalten ist Ziel eines dreijährigen FWF-Projekts, das Johanna Laakso von der Uni Wien koordiniert. Denn wenn eine Sprache verschwindet, gehen nicht nur Worte, sondern auch kulturelles Wissen verloren.

Von Amerika über Sibirien bis nach Australien - weltweit warnen Wissenschafter vor dem fortschreitenden Sprachensterben. Sollte nichts dagegen unternommen werden, könnten Schätzungen zufolge von den rund 6500 noch lebenden Sprachen in diesem Jahrhundert zwei Drittel aussterben.

Nicht zuletzt deshalb, weil viele der sterbenden Sprachen nicht verschriftlicht sind. 96 Prozent aller Sprachen werden von nur vier Prozent der Menschheit gesprochen. Zahlreiche linguistische Forschungsprojekte konzentrieren sich daher auf den Erhalt oder die Wiederbelebung von Minderheitensprachen.

So wie das EU-Projekt Eldia (European Language Diversity for All), das seit März die Vitalität von 14 finnougrischen Minderheitensprachen in Europa untersucht. Dazu gehören etwa Meänkieli in Schweden, Karelisch und Wepsisch in Russland oder auch Ungarisch in Österreich. Dabei steht für die Forscher von acht Universitäten in sechs Ländern insbesondere die Rolle der Sprachen als Träger kultureller Werte und Praktiken sowie die gesellschaftlichen Voraussetzungen für den Erhalt im Fokus.

Die Ergebnisse des bis 2013 laufenden Projekts sollen auf Minderheitensprachen weltweit übertragbar sein. Wobei Laakso, Projektkoordinatorin für Österreich, betont: "Außenstehende können gefährdete Sprachen nicht retten, nur die Sprecher selbst."

Gänzlich ausgestorbene Indianersprachen wiederzubeleben ist das ambitionierte Ziel zahlreicher Initiativen in Nordamerika. Die Stony Brook University in New York etwa hat gemeinsam mit indigenen Organisationen ein Projekt ins Leben gerufen, um Shinnecock und Unkechaug, die Sprachen der indianischen Stämme auf Long Island, zu rekonstruieren. Basierend auf wenigen Aufzeichnungen wie einer Vokabelliste, die der spätere US-Präsident Thomas Jefferson bei einem Besuch der Insel 1791 anfertigte, wird nun schrittweise versucht, die Geheimnisse der Sprache zu lüften - bis hin zu ihrem Klang.

Von den mehr als 300 indigenen Sprachen, die einst in den Vereinigten Staaten gesprochen wurden, sind heute nur noch 175 übrig. Mit vereinten Kräften könnten es aber wieder mehr werden. (kri/DER STANDARD, Printausgabe, 5. 5. 2010)