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Archivbild gebrauchter Spritzen - Abgabe-Programme schützen in HIV-Hinsicht die gesamte Gesellschaft, hat eine Schweizer Studie gezeigt.

Foto: APA/Boris Roessler

Zürich - Erstmals haben Forschende der Schweizerischen HIV-Kohortenstudie auf molekularer Ebene rekonstruiert, wie sich der Aids-Erreger HIV in den vergangenen 30 Jahren in der Schweiz ausgebreitet hat. Gleichzeitig zeigen die Daten eindeutig, dass die 1986 in der Schweiz begonnene Abgabe von sterilen Spritzen an Drogenabhängige auch viele Menschen vor der Krankheit bewahrt hat, die nicht abhängig sind, teilte der Schweizer Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung am Donnerstag mit.

Seit dem Auftreten der ersten Fälle in den frühen 1980er-Jahren stecken sich in der Schweiz jährlich mehrere hundert Menschen mit dem HI-Virus an. Das Muster der Ausbreitung untersuchte nun Huldrych Günthard von der Klinik für Infektionskrankheiten und Spitalhygiene an der Züricher Universitätsklinik mit molekularbiologischen Methoden. Sein Wissenschafterteam konzentrierte sich auf den HIV-1-Erreger vom Subtyp B, der in der Schweiz etwa 70 Prozent aller Fälle ausmacht. Sie bestimmten das HIV-Erbgut bei 5.700 anonymisierten Menschen, die sich zwischen 1981 und 2007 mit dem Erreger infiziert hatten. Ihre Idee: Je ähnlicher die Viren von zwei Patienten, desto größer sei die Wahrscheinlichkeit, dass diese einander angesteckt haben.

Übertragungsketten

Insgesamt fanden die Experten 60 verschiedene Übertragungsketten. Alle gehörten nur zwei Typen an: Einerseits Infektionsketten, die sich hauptsächlich aus suchtkranken Menschen, die sich Heroin oder andere Drogen injizierten, und aus Heterosexuellen zusammensetzten, andererseits Infektionsketten unter vorwiegend homosexuellen Männern.

In der größten Übertragungsgruppe infizierten sich sogar 1.051 Menschen. Studienleiter Günthard: "Das Virus gelangte durch den Austausch verseuchter Spritzen von ein paar anfänglich infizierten Personen rasch vom Blut eines Drogensüchtigen in das des nächsten." Im Durchschnitt war eine solche Infektionskette 114 Betroffene "lang". Bei Homosexuellen dagegen, wo das Virus durch Geschlechtsverkehr übertragen wird, erfolgte die Ausbreitung in viel kleineren Ketten mit durchschnittlich 29 Personen.

"Interessanterweise fanden wir keine Übertragungsketten, in denen das Virus vorwiegend von Heterosexuellen weitergegeben wurde", sagte Günthard. Das bedeute, dass die treibenden Faktoren für die Ausbreitung der Epidemie in der Schweiz eindeutig die Infektionsketten unter Homosexuellen und Drogensüchtigen einerseits sowie im Ausland erworbene Infektionen andererseits gewesen seien. Allerdings sei das Virus immer wieder von einer Gruppe zur anderen geschwappt. So stamme beispielsweise jedes neunte HI-Virus bei Heterosexuellen aus den Übertragungsketten der Homosexuellen. Während es zwischen Homosexuellen und Drogenabhängigen kaum zu Ansteckungen kam, war die Infektion Heterosexueller durch Drogenabhängige vor allem in den frühen 1980er-Jahren sehr häufig. "Eine wichtige Rolle nahm dabei sicher der Drogenstrich ein", so Günthard.

Die Zahlen der Experten zeigen aber auch, dass die Infektionen zwischen Drogensüchtigen und Heterosexuellen später stark abnahmen. Das liege vor allem daran, dass die Epidemie unter den Abhängigen dank der 1986 lancierten Abgabe steriler Spritzen eingedämmt werden konnte. Die Spritzenaustauschprogramme schützten also die gesamte Gesellschaft.

International eine wichtige Botschaft

Laut Günthard ist das international eine wichtige Botschaft. Obwohl Spritzenabgabe-Programme weltweit inzwischen in 77 Ländern vorhanden sind, gibt es sie in vielen Staaten noch immer nicht. Antonio Mario Costa, Chef des in Wien ansässigen Büros für Drogen-und Verbrechensbekämpfung (UNODC), erklärte erst vor kurzem aus Anlass der bevorstehenden internationalen Aids-Konferenz in Wien (AIDS 2010, 18. bis 23. Juli): "Drogenkonsum nimmt eine wachsende Rolle in der Verbreitung von Aids ein. Es gibt weltweit rund drei Millionen infizierte Süchtige. In manchen Ländern sind 40 Prozent der injizierenden Drogenkonsumenten HIV-positiv. Weltweit werden pro i.v.-Drogenabhängigem zwei sterile Spritzen pro Monat ausgegeben. Jeder dieser Abhängigen braucht aber drei bis vier am Tag." (APA/red)