Wien - "Ich dachte, das wird langweilig werden, weil uns der Klassenvorstand hergeschleppt hat. Aber es war total interessant", bewertete Lisa (15) das Gespräch mit dem Schweizer Botschafter. Vergangenen Mittwoch stellte sich Oscar Knapp im Rahmen der Veranstaltungsreihe Botschaften aus Europa vom Standard und dem Europäischen Wirtschaftsforum den Fragen von 120 Schülern in der Hauptbücherei.

"Über die Schweiz und deren Politik wissen wir kaum etwas", gaben Schülerinnen der Krottenbachstraße zu. Umso interessierter hörten die Oberstufen-Schüler zu und stellten engagierte Fragen, die den Botschafter überraschten.

Passend nach der Bundespräsidentenwahl kam man auf die sieben Bundesräte (Frauen und Männer) der Schweiz zu sprechen, von denen jeweils einer für ein Jahr den Präsidenten stellt. "Die Schweiz will nicht einer Person für zu lange Zeit so viel Macht geben. Acht Jahre lang einen Bundespräsidenten zu haben wäre für uns undenkbar", erklärt Knapp. Besonders interessant fand Anna (14), was sie über die direkte Demokratie in der Schweiz gehört hat, und auch Oliver (18) fiel positiv auf, "dass in der Schweiz das Volk direkt angesprochen wird" und sich daher laut Knapp auch mehr in die Politik einbezogen fühlt: "Der Souverän ist das Volk, die direkte Demokratie ist in der Schweiz sehr stark."

Auf die Frage, warum die Schweiz nicht in der EU sei, antwortete der Botschafter sehr ausführlich. Der Schweiz sei ihre Unabhängigkeit von Großmächten von jeher sehr wichtig. Bei einem EU-Beitritt würden Elemente der so geliebten direkten Demokratie verloren gehen. "Wir haben sehr gute Abkommen mit der EU in vielen Bereichen, aber eine Verordnung aus Brüssel, zum Beispiel betreffend des Rauchverbots, würde wohl kaum akzeptiert werden."

Da die Schweiz und Österreich eine sehr ähnliche Kultur hätten, könne man viel voneinander lernen. Österreich habe beispielsweise verkehrspolitisch Aufholbedarf, und die Schweiz könnte sich im Bereich der Bioprodukte von Österreich inspirieren lassen.

Als Knapp vom Publikum um eine Stellungnahme zum Kärntner Ortstafelkonflikt gebeten wurde, meinte er: "Das ist mir unbegreiflich, da die Schweiz als 'Willensnation' mit verschiedenen Religionen und Sprachen großen Respekt vor Minderheiten hat."

Ängste der Bevölkerung

Die Abstimmung über das Minarettverbot wurde vom Botschafter als heikles Thema eingeordnet. Die Regierung habe dabei die Ängste der Bevölkerung nicht ernst genug genommen.

Der 61-Jährige gab auch Auskunft über seinen Tagesablauf, der mit dem Verfolgen schweizerischer und österreichischer Nachrichten beginnt. Neben Qualitätszeitungen nehme er auch die Krone zur Hand, da ein großer Teil der Bevölkerung ihre Informationen daraus beziehe.

Nach der Debatte wurde in die Botschaft eingeladen und Schokolade verschenkt. "Diplomaten wahren oft zu viel Abstand. Doch Botschaften sind auch bloß Dienstleistungsbetriebe." (Aurora Orso/STANDARD Printausgabe, 5.5.2010)