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Die Schwellenländer bringen Farbe in die Wirtschaftswelt. Während das Wachstum in den Industriestaaten wegen Krise und Schulden leiden wird, boomen Länder wie China, Indien und Brasilien. Ihr Aufstieg wird auch durch die Aufwertung der G-20-Treffen (im Bild in Pittsburgh im September 2009) symbolisiert.

Foto: Reuters/Montage Korn

Die Welt steht Kopf. Die erste große Wirtschaftskrise des 21. Jahrhunderts hält sich nicht an die Spielregeln der modernen, globalen Wirtschaft. Seit dem zweiten Weltkrieg ist kein Industrieland pleitegegangen, Staatsbankrotte und Wirtschaftseinbrüche von mehr als fünf Prozent der Wirtschaftsaktivität spielten sich in Lateinamerika, Afrika oder Asien ab.

In den 1980er- und 1990er Jahren waren es Schwellenländer wie Argentinien, Russland und die asiatischen "Tigerstaaten" , deren Finanzsysteme vor dem Kollaps standen und denen der Internationale Währungsfonds (IWF) unter die Arme greifen musste. Heute stecken nicht die Entwicklungs- und Schwellenländer in der Krise, sondern die Industrienationen. Griechenland etwa konnte seinen Schuldenberg nicht mehr aus eigener Kraft tragen, und die Kapitalmärkte misstrauen einigen europäischen Ländern mehr als Mexiko und Brasilien oder Indien und Indonesien. Die Krise hat in den Industrienationen gezeigt, dass die Wirtschaftspolitik in den Jahren zuvor schwere Fehler gemacht hat - und in der Zukunft über wenig Handlungsspielraum verfügt.

Die aktuelle Krise war für die Staatsfinanzen der Industrieländer ein Super-GAU (siehe Grafik). Die Ausgaben für Konjunktur- und Bankenpakete sowie die niedrigeren Steuereinnahmen drückten auf die Budgets. Laut IWF-Schätzungen werden die Staatsschulden der G-7-Staaten, der sieben größten Wirtschaftsmächte, in Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) in den kommenden Jahren wieder über 100 Prozent steigen. "Die öffentlichen Haushalte der Mehrheit der Industriestaaten sind heute in einem schlechteren Zustand als jemals zuvor seit der industriellen Revolution, mit Ausnahme von Kriegszeiten," sagt Willem Buiter, Chefökonom der US-Bank Citigroup.

Nach dem zweiten Weltkrieg konnten die Industriestaaten noch aus den Schulden "herauswachsen" , diesmal sind die Aussichten aber eingetrübt. Denn die Kreditmärkte funktionieren noch nicht einwandfrei, und Unternehmen halten sich mit der Investitionstätigkeit zurück. Die entwickelten Volkswirtschaften werden laut den IWF-Ökonomen noch länger nicht schneller als zwei Prozent wachsen.

"Tektonische" Verschiebung

Das hat mehrere Gründe. Zunächst werden Steuererhöhungen zur Budgetsanierung die Wachstumsaussichten von Staaten eindämmen. Dazu kommt laut den Analysten von Gavekal ein "Verdrängungseffekt" . Staaten müssen immer höhere Schuldenstände refinanzieren und erschweren damit Unternehmen den Zugang zum Kapitalmarkt. Höheres Wachstum werde daher erst nach 2015 zu erwarten sein, wenn die Bankenkrise "verdaut" ist.

Eine Studie der Bank für internationalen Zahlungsausgleich unter der Leitung von Stephen Cecchetti deutet ein weiteres Problem an. Die Ökonomen kommen zu dem Ergebnis, dass gerade die hohen, zukünftigen Belastungen aus den Pensionssystemen die Staatsfinanzen in Industrieländern stark belasten werden. Auf bis zu 400 Prozent könnten die Schuldenquoten als Folge von ungünstigen demografischen Entwicklungen in den langfristigen Szenarien steigen.

Das wirtschaftliche Gewicht verschiebt sich damit nach Süden und Osten. Denn die Schwellenländer nützen die Krise und ihre eigenen stabilen Finanzen, um ihre Bedeutung im globalen Handel zu vergrößern und in die letzte Domäne der ersten Welt vorzudringen: Forschung und Entwicklung (siehe Artikel auf Seite 3). Insgesamt wird die Bedeutung der G-7 daher deutlich zurückgehen. James Wolfensohn, ehemaliger Präsident der Weltbank und heute Berater des chinesischen Staatsfonds, geht von einer Verschiebung "tektonischen" Ausmaßes aus: Der Anteil der Industrieländer am globalen BIP werde von 80 Prozent heute auf nur noch 35 Prozent im Jahr 2050 sinken.

Die Folge wäre eine "massive Machtverschiebung im ökonomischen Kräfteverhältnis zwischen den reichen, arroganten Ländern des Westens und den Schwellenländern" , meint etwa Marc Faber, ein renommierter Investor und Autor des Boom-Doom-Gloom-Reports. Erste Anzeichen für die Machtverschiebung gibt es in der Politik. Fragen von globaler Finanzregulierung und Bankensteuern werden heute im Rahmen der G-20 statt der G-7 besprochen, die Mitsprache von Schwellenländern in Institutionen wie dem IWF und der Weltbank nimmt zu.

Auch bei Investoren haben die Industrieländer an Macht und Vertrauen eingebüßt. Ramin Toloui von Pimco, einem der größten Investoren in Staatsanleihen weltweit, glaubt, dass Anleger in den Schwellenländern besser aufgehoben seien. "Niedrigere Schuldenstände geben den Schwellenländern zusätzliche Möglichkeiten, Wirtschaftswachstum zu finanzieren."

Aufzuholen gibt es freilich noch genug. Gemessen am BIP pro Kopf sind die USA noch fünfmal so reich wie China oder knapp dreimal so reich wie Brasilien.(Lukas Sustala, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 7.5.2010)