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Flüchtlinge aus Somalia nach der Räumung eines Hauses mit illegalen Unterkünften in Athen - In Griechenland erhalten Asylwerber keine finanzielle Hilfe und vom Staat keinen Ort zum Wohnen

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Wien - Für Ahmad Khodadadi sind die einstweiligen Verfügungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) gegen Abschiebungen nach Griechenland keine Hilfe mehr. Seit mehr als einem Jahr, als er von den österreichischen Fremdenbehörden nach Athen zurückgeschickt wurde, lebt der Afghane in Griechenlands Hauptstadt auf der Straße. Schlägt sich mit Zwei-Euro-Jobs durch. Übernachtet in Parks, Obdachlosenasylen und manchmal bei Freunden.

"Als ich vor wenigen Tagen mit ihm telefonierte, sagte er, er habe jetzt endgültig genug. Er gehe nach Afghanistan zurück, denn sterben könne er auch dort", schildert die Filmemacherin Nina Kusturica. Sie hat den jungen Mann, der sein Alter mit 20 Jahren angibt - während ihm ein Amtsarzt in Österreich im Rahmen eines Gutachtens 2008 die Volljährigkeit attestierte - im Rahmen ihres Dokumentarstreifens "Little Alien" über unbegleitete minderjährige Flüchtlinge porträtiert - und ist in Kontakt mit ihm geblieben.

Die Abschiebung Khodadadis nach Griechenland, wo es laut UN-Flüchtlingshochkommissariat UNHCR für jährlich rund 20.000 neue Asylwerber (Stand 2008) genau 810 Unterbringungsplätze gibt, hat Kusturica als besondere Härte in Erinnerung. Grund für die Rückführung waren ein Treffer im Eurodacsystem, wo die Fingerabdrücke aller in die EU eingereisten Flüchtlinge registriert sind.

Höchstrichter ohne Bedenken

Sowie ein Beschluss des Verfassungsgerichtshofs (VfGH), der die Behandlung der Beschwerde des Afghanen gegen seine Außerlandesbringung ablehnte: Es sei kein Grundrechtsverstoß zu erkennen. Vor den Verwaltungsgerichtshof (VwGH) gegen Verfahrensfehler angehen konnte Khodadadi nicht: Seit Mitte 2008 sind Asylwerberbeschwerden beim VwGH nicht mehr möglich.

Gegen zwei sehr ähnliche VfGH-Beschlüsse, die Asylwerberabschiebungen von Österreich nach Griechenland in so genannten Dublin-Fällen (siehe "Wissen") bestätigt hatten, richteten sich die Beschwerden von Anwalt Herbert Pochieser an den EGMR; der VfGH agiere "unverantwortlich", meint er im Standard-Gespräch. Der EGMR setzte die zwangsweise Wegbringung beider Männer vor wenigen Wochen aus: Die Nichtbehandlung der Beschwerden durch den VfGH lasse den Umstand unbeachtet, dass die Situation in Griechenland für Flüchtlinge nicht sicher genug sei, heißt es in dem vor einigen Tagen veröffentlichten Spruch. Ein endgültiges Urteil wird erst in zwei bis drei Jahren erwartet.

"Inzwischen ist die Lage wegen der Finanzkrise dort weiter eskaliert. "Asylwerber nach Griechenland zu schicken ist jetzt völlig unhaltbar", sagt Pochieser. Doch im Innenministerium sieht Sprecher Rudolf Gollia über die beiden Einzelfälle hinaus keinen Grund, die Abschiebepolitik zu überdenken. Beim Verfassungsgerichtshof wiederum kündigt Sprecher Christian Neuwirth jetzt eine "ernsthafte Prüfung" des neuen EGMR-Spruchs an. (Irene Brickner/DER STANDARD, Printausgabe, 7. Mai 2010)