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Nick Clegg verlässt am Freitagabend das Hauptquartier der Liberaldemokraten.

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David Cameron tritt nach seinem Wahlsieg vor die Presse. Fragen wollte er aber nicht beantworten.

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Nick Clegg ist über das Wahlergebnis "enttäuscht".

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Brown und Cameron pokern um die Macht.

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Allen Spekulationen über die zukünftige Regierung zum Trotz: Gordon Brown geht jetzt erst einmal schlafen, twittert eine seiner Mitarbeiter Justin Forsyth.

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Brown ist nicht nach Feiern zumute: Wird er noch einmal in die Downing Street Nr. 10, Residenz und Büro des Premiers, einziehen dürfen?

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Cameron, auf dem Foto mit seiner Frau Samantha, gibt sich staatsmännisch: Er werde sich bei den Gesprächen zwischen den Parteien vom "nationalen Interesse" leiten lassen.

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Ohne Clegg, hier mit seiner Frau Miriam Gonzalez Durantez, geht gar nichts: Die LibDems haben zwar weniger Stimmen als erwartet, aber ohne ihre Hilfe kann keiner regieren.

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London - Zwei Tage nach der Parlamentswahl in Großbritannien beginnen die drittplatzierten Liberaldemokraten ihre Beratungen über das Regierungsangebot der Konservativen. Parteichef Nick Clegg wollte am Samstag mit den Spitzen seiner Partei zusammentreffen, um für eine Zusammenarbeit mit den Tories von Wahlsieger David Cameron zu werben. Wie diese Kooperation aussehen könnte, ist noch völlig offen. Von einer Tolerierung einer konservativen Minderheitsregierung bis hin zu einer Koalition ist alles denkbar.

Am Freitagabend hatten erste Sondierungsgespräche zwischen den beiden Parteien stattgefunden, bei denen Vorschläge für wirtschaftliche und politische Reformen erarbeitet werden sollten. Viele liberaldemokratische Unterhausabgeordnete stehen einem Gang in die Regierung mit den Konservativen allerdings skeptisch gegenüber. Sie befürchten, zu viele Zugeständnisse bei Themen wie der Staatsverschuldung oder der Wahlrechtsreform machen zu müssen.

Vier Konservative, darunter William Hague, der de-facto-Stellvertreter von Parteichef David Cameron, und der finanzpolitische Sprecher der Tories, George Osborne, trafen am Freitagabend mit vier hochrangigen Vertretern der Liberaldemokraten zusammen. Zum Inhalt des Gesprächs wollten sich die Teilnehmer nicht öffentlich äußern. "Wir hatten ein erstes Treffen, das ist alles, was im Moment zu sagen ist", sagte Hague vor Journalisten.

Ein Sprecher der Liberaldemokraten sagte, bei dem gut einstündigen Gespräch seien weitere Treffen vereinbart worden. Nach parteiinternen Gesprächen in der Parteizentrale sagte der einflussreiche Liberaldemokrat Simon Hughes: "Die Dinge laufen richtig. Die Dinge laufen vorsichtig. Ich werde nicht spekulieren. Sie müssen einfach abwarten."

Cameron: Übereinstimmungen vor allem in Steuerpolitik

Die Sondierungsgespräche waren notwendig geworden, nachdem schon Freitag früh feststand, dass keine Partei eine absolute Mehrheit an Sitzen im Unterhaus erreichen kann. Die Konservativen unter David Cameron stellen mit (bisher) 36 Prozent zwar die stärkste Fraktion, verfehlten aber die für eine absolute Mehrheit erforderlichen 326 Mandate.

Wahlsieger Cameron will nach eigenen Angaben den Liberal-Demokraten "ein großes, umfassendes Angebot" unterbreiten. In seiner Ansprache am Freitag betonte er die Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Parteien. Vor allem bei der Steuerpolitik könne man sich sicher auf eine Korrektur der von der Labour-Regierung eingeführten Belastungen einigen, betonte Cameron. Er habe in einem Gespräch mit deren Parteichef Nick Clegg erklärt, dass einem künftigen Kabinett auch Minister der Liberaldemokraten angehören könnten, sagte der außenpolitische Sprecher der Tories, William Hague, am Freitag dem Sender Sky. Die beiden Parteichefs hatten den Angaben zufolge am späten Nachmittag miteinander gesprochen.

Eine politische Reform müsse aber auch eine Reform des Wahlsystems beinhalten, sagte Cameron im Hinblick auf die Liberaldemokraten und schlug einen parteienübergreifenden Ausschuss dazu vor. Die Reform des britischen Mehrheitswahlsystems, das kleine Parteien benachteiligt, ist ein zentraler Punkt für die "Lib Dems". Cameron ging bei seinem Angebot nicht so weit wie Premierminister Gordon Brown, der den Liberaldemokraten ein Referendum über die Art der Wahlreform angeboten hatte. Er würde auch versuchen, eine Minderheitsregierung mit anderen Parteien zu bilden, sagte Cameron. Nach nur zehn Minuten brach der Tory-Chef die Pressekonferenz ab, ohne Journalisten die Gelegenheit zu geben, ihm Fragen zu stellen.

Labour auf historischem Tiefstand

Der bisher amtierende Premier Gordon Brown führte Labour mit einem Stimmanteil von rund 28 Prozent in eine der schwersten Niederlagen ihrer Geschichte. Brown hoffe dennoch weiterhin auf eine Koalition mit den Liberaldemokraten, lässt aber den oppositionellen Konservativen den Vortritt bei Koalitionsgesprächen. Labour-Schwergewichte Wirtschaftsminister Peter Mandelson und Außenminister David Miliband sehen das anders und pochten vor laufenden Kameras auf ihr Recht, die nächste Regierung zu bilden. "Get real", konterte George Osborne, der designierte Finanzminister im Schattenkabinett von David Cameron. Der Verlust, den die Labour-Partei einfuhr, sei eine "krachende Zurückweisung" der Regierung, sie könne unmöglich im Amt bleiben.

Obwohl das britische Wahlsystem vorsieht, dass bei einem Fehlen einer absoluten Mehrheit zunächst der Amtsinhaber und nicht die größte Partei mit der Bildung einer neuen Regierung betraut wird, sagte Premierminister Brown am Freitag, Tories und Liberaldemokraten müssten Zeit für Beratungen erhalten. Sollten diese Gespräche aber keine Einigung bringen, sei er seinerseits zu Gesprächen mit den Liberaldemokraten über die Bildung einer Regierung bereit. Der Chef der Labour-Partei begründe dies nach Auskunft aus Kreisen seiner Partei damit, dass eine Koalition in unsicheren wirtschaftlichen Zeiten besser sei als eine Minderheitsregierung unter den konservativen Tories. Er werde nur dann zurücktreten, wenn er im britischen Unterhaus keine Mehrheit zusammenbringe.

Brown, der seinen persönlichen schottischen Wahlkreis Kirkcaldy and Cowdenbeath mit einem Stimmenzuwachs gewinnen konnte, verwies in einer ersten Reaktion auf die Erfolge seiner Regierungsarbeit. Zur politischen Zukunft Großbritanniens sagte er: "Das Ergebnis der Wahl in diesem Land ist noch nicht bekannt, aber meine Pflicht gegenüber diesem Land wird es nach der Wahl sein, meinen Teil dazu beizutragen, dass Großbritannien eine starke, stabile und richtungsweisende Regierung hat, die in der Lage ist, es durch eine nachhaltige wirtschaftliche Erholung zu führen."

Auszählung: LibDems enttäuschend

Nach Auszählung aller Wahlkreise sind die konservativen Tories mit David Cameron an der Spitze bei der britischen Parlamentswahl stärkste Partei geworden. Mit 306 Sitzen verfehlten sie allerdings um 20 Sitze die absolute Mehrheit. Die Labour Party von Premierminister Gordon Brown kam auf 258 Sitze und musste schwere Verluste einstecken. Die Liberaldemokraten erreichten 57 Sitze. Ein Sitz allerdings bleibt noch frei: Weil in einem Wahlkreis ein Kandidat gestorben war, kann dort erst Ende Mai gewählt werden.

Nick Clegg bezeichnete die Wahlnacht als "enttäuschend" nach einer "Kampagne voller Optimismus und Hoffnung". Er blieb hinter den hochgesteckten Erwartungen zurück. Der 43-Jährige dankte am Freitag dennoch den Wählern in seinem Wahlkreis in Sheffield, den er mit einem Stimmenzuwachs wieder gewann. Gleichzeitig sei das Gesamtergebnis seiner Partei nicht so wie erwartet. "Wir haben einfach nicht erreicht, was wir uns erhofft hatten", sagte Clegg vor Anhängern in Sheffield.

Cameron sieht Brown ohne Regierungslegitimation

Der Chef der britischen Konservativen hat in seiner ersten Reaktion Gordon Brown die Regierungslegitimation abgesprochen. "Auch wenn das Ergebnis noch nicht endgültig feststeht", glaube er, dass Labour das Mandat für die Regierung unseres Landes verloren habe, sagte David Cameron, nachdem er in seinem Wahlkreis Witney in der Grafschaft Oxfordshire erwartungsgemäß gewonnen hatte. Er werde in den nächsten Stunden und Tagen "und vielleicht länger", bis eine Regierung feststehe, stets im "nationalen Interesse" handeln, so Cameron. Aber was das Wahlergebnis gezeigt habe, sei, dass das Land "einen Wechsel will".

In der Zwischenzeit wurde eine Facebook-Gruppe gegründet, die den Namen "Cool it! We're not going to form a new government just to suit 24-hour news" trägt und mittlerweile knappe 3000 Mitglieder zählt. Gegründet wurde sie laut BBC vom Democracy Club. Die Medien versuchten Druck auszuüben, steht dort. "Es kann ruhig ein paar Tage dauern", eine stabile und langfristige Regierung auf die Beine zu stellen.

Experte erwartet Minderheitsregierung und baldige Neuwahlen

Mark Wickham-Jones von der Bristol University sprach von einer Minderheitsregierung der Konservativen als wahrscheinlichsten Ausgang: "Cameron wird versuchen, seine politischen Programme einzubringen, seine Kompetenz unter Beweis zu stellen und dann im Herbst oder im kommenden Frühling erneut Wahlen ansetzen", sagte er.

Den neuen Premierminister erhält den Auftrag zur Bildung einer Regierung von Staatsoberhaupt Queen Elizabeth II. Die hält sich aus der Parteipolitik in der Regel bewusst heraus. Theoretisch kann die Queen alle Parteiführer einbestellen und zur Zusammenarbeit auffordern. Eingetreten ist so ein Fall zuletzt unter König George V. im Jahr 1931. Für den 25. Mai ist die Thronrede der Königin anberaumt, in der sie das Programm der neuen Regierung verliest. Anschließend wird im Parlament über das Programm abgestimmt.

Chaos in Wahllokalen

Nach massiven Problemen bei der Stimmabgabe könnten laut einer Meldung der britischen Nachrichtenagentur PA die Ergebnisse in einigen Wahlkreisen angefochten werden. Wegen eines überraschend starken Andrangs in den Wahllokalen wurden am Donnerstagabend Hunderte Wähler abgewiesen und nach Hause geschickt. Die Wahlkommission werde die Probleme untersuchen, sagte ihre Vorsitzende Jenny Watson am Freitag.

Die "alte, klapprige, viktorianische Infrastruktur" Großbritanniens sei nicht für moderne Wahlen ausgelegt, sagte Watson. In Wahlkreisen, in denen die Abstimmung nicht korrekt durchgeführt worden sei, könnten die Ergebnisse angefochten werden.

Denn ein prominentes Thema in der nächtlichen Berichterstattung über die Wahlen waren auch Probleme mit der Stimmabgabe in zahlreichen Wahlbezirken. So berichteten Wähler, sie seien abgewiesen worden, als zur Schließung der Wahllokale um 22.00 Uhr noch immer lange Schlangen vor den Wahllokalen waren. Probleme gab es demnach unter anderem in Milton Keynes, Liverpool, Newcastle, Birmingham, Newcastle und Sheffield, wo der Führer der Liberaldemokraten, Nick Clegg, einen Sitz hat. In mehreren Wahllokalen kam es zu Verzögerungen, weil nicht genügend Stimmzettel vorhanden waren. Die Zuständigen hatten offenbar mit einer geringeren Wahlbeteiligung gerechnet. Mindestens ein Wahllokal wurde wegen der Panne eine Stunde lang geschlossen. Mehrfach musste die Polizei einschreiten, um wütende Bürger zu beruhigen.

Die Wahlkommission erklärte in der Nacht zu Freitag, sie sei "ernsthaft besorgt" über die Vorwürfe, und kündigte eine genaue Prüfung der Beschwerden an. Die Vorsitzende der Wahlkommission, Jenny Watson, sagte, das derzeitige Wahlsystem stehe "kurz vor dem Zusammenbruch" und müsse reformiert werden. Premierminister Brown ließ durch einen Sprecher erklären, er sei "sehr besorgt" über die Berichte und unterstütze eine genaue Untersuchung. Auch ein Sprecher der Konservativen forderte eine Untersuchung. (red/APA/Reuters, derStandard.at, 7./8.5.2010)