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Bei einer Heroinüberdosis wird zur unverzüglichen Entgiftung der Opioidantagonist Naloxon eingesetzt, der rasch gegen die Atemdepression wirkt.

Foto: APA/Boris Rössler

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Der Flash ist der gleiche. Ob sie sich Heroin spritzen oder aufgelöstes Morphin, kommt für die meisten Drogensüchtigen auf das Gleiche heraus. Nur ist Heroin teurer und auch schwerer zu bekommen als "Substi", was an die 7000 User in Österreich bequem dank ihrer E-Card erhalten. Überall, wo sich die Szene trifft, werden die weißen Tabletten um 20 bis 35 Euro vertickt. Das ist ein Markt, für den sich auch das organisierte Verbrechen interessiert. Einzelne Ärzte, die Dealer mit Verschreibungen des begehrten Präparats versorgt haben, sind in Haft.

Der erste Schuss wird in Österreich laut Streetworkern immer seltener mit verbotenem Heroin gesetzt und immer öfter mit dem von der Allgemeinheit bezahlten Medikament. "Wenn du als junger Mensch verrückt genug bist, dir etwas in die Vene zu jagen, nimmst du dann eher ein in Stanniol verpacktes Pulver, das dir ein Dealer hinhält, oder eine Tablette, die dir die Reinheit eines zugelassenen Arzneimittels suggeriert?", skizziert der Grazer Allgemeinmediziner Martin Sprenger die fatale Wahl. Er fürchtet, dass das hochgradig verfügbare Substitutionsmittel die Hemmschwelle zum Opiatkonsum gesenkt hat.

Seit Jahren fordert Sprenger, die Sicherheit des Morphinpräparats zu erforschen. Die Tücke der Tabletten liegt in einem Bestandteil namens Talkum. Er erleichtert die Herstellung und orale Einnahme, kann aber in der Blutbahn gefährliche Ablagerungen auslösen. Im Labor wäre leicht zu testen, wie viel von der wachsartigen Substanz in der Emulsion verbleibt, nachdem die Tabletten in der üblichen Weise aufgelöst und mithilfe von Zigarettenfiltern abgeseiht werden. Aber um eine solche Studie zu bewilligen, müsste offiziell zugegeben werden, dass es Missbrauch gibt.

Behandlung mit Ersatzstoffen

In der österreichischen Suchthilfe reden die meisten nur hinter vorgehaltener Hand über die Probleme. Würde das Ausmaß des Missbrauchs öffentlich bekannt, wird argumentiert, könnte die Behandlung Opiatsüchtiger insgesamt auf den Prüfstand kommen. Das will keiner riskieren. Dabei hat sich hierzulande seit der Einführung von Methadon 1987 die Sicht durchgesetzt, dass Entzug in ein suchtmittelfreies Leben für die wenigsten funktioniert und die vorübergehende oder dauerhafte Behandlung mit einem Ersatzstoff Drogensüchtigen einen Ausweg aus der Beschaffungskriminalität und der Abhängigkeit von Dealern bietet.

International begann die Behandlung mit dem Opioidagonisten Methadon bereits (siehe Kasten) in den Sechzigerjahren. Zum Umdenken in den USA führte, dass zehntausende US-Soldaten heroinsüchtig aus dem Vietnamkrieg zurückkehrten und Hilfe bekommen sollten. Methadon war nahezu ohne Alternative, bis in den Neunzigerjahren Buprenorphin aufkam. Das Schmerzmittel mit leicht euphorisierender Wirkung, die sich durch höhere Dosierung nicht steigern lässt, wurde in Frankreich und Finnland rasch Substitutionsmittel der ersten Wahl.

Zur gleichen Zeit wurde auch in Österreich eine Alternative zu Methadon gesucht. Als eines der ältesten Schmerzmittel und natürlicher Bestandteil von Heroin bot sich Morphin an, allerdings in einer verzögernd wirkenden Tablette. Dass intravenöse Drogen-User es sich spritzen würden, war abzusehen. Doch die Lobby, die der Hersteller Mundipharma Österreich um sein bald umsatzstärkstes Produkt formierte, rechnete nicht damit, dass sich der Missbrauch zu einem nennenswerten Problem auswachsen würde.

Mit "Substis", wie die Süchtigen die Tabletten nach ihrem Namen Substitol tauften, nahm das Ersatztherapiegeschäft in Österreich Fahrt auf. Jeder Arzt konnte die Behandlung anbieten. In Wien winkt bei opiatsüchtigen Patienten eine besondere Vergütung durch die Kasse. Dabei ist Massenabfertigung die Regel. Dass Ärzte den gleichen Patienten trotz gefährlicher Wechselwirkungen massenhaft Benzodiazepine verschreiben, deutet darauf hin, dass es an Fortbildung mangelt.

In den letzten Jahren gab es erste Schritte, die Überverschreibung der retardierten Morphine in der Substitutionstherapie unter Kontrolle zu bringen. Methadon und Buprenorphin wurden zu Mitteln erster Wahl erklärt, die Fortbildungspflicht für Substitutionsärzte verstärkt. Auch internationale Experten kommen ins Bild: Auf einer vom Bundesgesundheitsministerium veranstalteten Enquete präsentierten Suchtforscher, wie Opiatsüchtige in ihren Ländern behandelt werden und wie dort mit dem Missbrauch umgegangen wird. (Stefan Löffler, DER STANDARD Printausgabe, 10.5.2010)