Heidelberg - Fortgeschrittene Glioblastome bildeten sich bei manchen Ratten nach einer Behandlung mit Parvoviren vollständig zurück. Dies zeigten jetzt Wissenschafter aus dem Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ; Heidelberg). Parvoviren verursachen beim Menschen keine Krankheitssymptome, auch die behandelten Ratten zeigten keinerlei unerwünschte Nebenwirkungen. Eine klinische Studie der Phase I zur Parvovirus-Behandlung von Patienten mit fortgeschrittenen Glioblastomen ist in Zusammenarbeit mit der Neurochirurgischen Universitätsklinik Heidelberg in Vorbereitung.

Hintergrund: Parvoviren

Bestimmte Parvoviren befallen normalerweise Nagetiere, sind aber auch für menschliche Zellen infektiös. Beim Menschen verursachen sie jedoch keinerlei Krankheitssymptome. Vor allem aber zeichnet diese Erreger eine erstaunliche Eigenschaft aus: Sie töten infizierte Tumorzellen, ohne gesundes Gewebe zu schädigen. Wissenschafter um Jean Rommelaere und Jörg Schlehofer im DKFZ prüfen daher bereits seit mehreren Jahren, ob sich die Viren als Waffe gegen Krebs eignen.

Zahlreiche verschiedene Viren sind bereits in der Krebstherapie erprobt worden, vor allem bei solchen Krebsarten, gegen die keine wirkungsvollen etablierten Behandlungen zur Verfügung stehen. Die DKFZ-Forscher hatten allerdings erkannt, dass das Parvovirus H1 große Vorteile gegenüber anderen Erregern hat.

Untersuchung

Die Behandlungsversuche wurden an Ratten durchgeführt, denen Hirntumorzellen implantiert worden waren. Sobald die daraus resultierenden Hirntumoren eine bestimmte Größe erreicht hatten, erhielten die Tiere die Parvoviren entweder direkt in die Geschwulst injiziert oder in die Blutbahn verabreicht. Bei den Ratten, denen die Viren direkt in den Tumor injiziert worden waren, bildete sich der Krebs bereits nach drei Tagen sichtbar zurück und verschwand bei acht der zwölf behandelten Tiere sogar vollständig. Die Nager lebten symptomfrei, unbehandelte Kontrolltiere dagegen litten spätestens drei Wochen, nachdem sie die Tumorzellen erhalten hatten, unter schweren Krankheitszeichen. Bei der intravenös behandelten Gruppe bildeten sich die Tumoren bei sechs von neun Ratten vollständig zurück, die Tiere leben inzwischen seit über einem Jahr symptomfrei und ohne Spätfolgen der Therapie.

Vermehrung der Viren

Im Nervengewebe um den Tumor fanden die Forscher keinerlei infektionsbedingte Schäden. Die Viren griffen nicht auf den gesamten Organismus über. Zwar ließ sich einige Tage nach der Virusübertragung Parvovirus-DNA in allen Organen nachweisen, jedoch nur vorübergehend: Die Viren hatten gesunde Zellen infiziert, diese brachten aber keine neue Virengeneration hervor. Im Tumorgewebe selbst dagegen vermehrten sich die Viren und nur dort ließ sich die Produktion von Virusproteinen nachweisen. In Ratten, die keine Tumoren trugen, vermehrten sich die Erreger nicht - offenbar ist die Anwesenheit von Krebszellen eine notwendige Voraussetzung für die Vermehrung der Parvoviren.

Die DKFZ-Forscher zeigten sich nach dem positiven Ausgang dieser Experimente überzeugt, dass sich Parvoviren für eine Krebstherapie eignen. Rommelaere fasst die Gründe dafür zusammen: "Das Parvovirus H1 verursacht beim Menschen keine Krankheitssymptome. Da in der Regel keine Immunität gegen Nagerviren besteht, wird es vom menschlichen Abwehrsystem nicht sofort nach Injektion eliminiert. Parvoviren töten Tumoren aufgrund natürlicher Eigenschaften ab, so dass ihr Erbgut nicht genetisch manipuliert werden muss. (...) Außerdem bauen sie ihr Erbgut nicht in das Genom der Wirtszelle ein, daher ist nicht zu befürchten, dass sie 'versehentlich' wachstumsfördernde Gene ankurbeln." (APA)