Der fünfzigste Geburtstag des Bundeskanzlers bot einigen Medien Anlass zu besinnlicher Betrachtung des menschlichen Alterungsprozesses am Beispiel des Politikers, in der ein immerhin denkbarer Zuwachs an innerlicher Reife eine auffallend geringe, nämlich gar keine Rolle spielte, der körperliche Verfall im Amt hingegen eine große. Es liegt nahe, einen Artikel zu diesem Thema mit den vier Worten "Die Spuren der Macht" zu überschreiben. Wie nahe, das bewies der "Kurier", der dafür die Formulierung Die Spuren der Macht gebrauchte, während sich die "Salzburger Nachrichten" für Die Spuren der Macht entschieden.
Der Banalität der Tatsache, dass auch Politiker dem Altern ausgesetzt sind, einige Aspekte über dessen Akzeleration abzugewinnen, bemühten sich beide Blätter mit leicht unterschiedlichem Erfolg. Das mag auch daran gelegen sein, dass der "Kurier" als optische Verfall-Beispiele neben dem aktuellen Geburtstagskind leicht rückwärtsgewandt Wolfgang Schüssel und Alfred Gusenbauer anbot, während die "Salzburger Nachrichten" auf Aktualität in der Vergänglichkeit setzten und Werner Faymann die Mitspieler Josef Pröll und H.-C. Strache zur Seite stellten.
Ob sich die unterschiedliche Beurteilung der Überlebenschancen daraus ergaben oder ob es an etwas anderem lag, ist schwer zu sagen. Der "Kurier" ließ sich von Gusenbauer informieren, für den "klar ist, dass man in der Politik stets einer doppelten Belastung ausgesetzt ist", woraus sich für ihn rechnerisch ergibt: "Politikerjahre zählen fünffach." Die "Salzburger Nachrichten" zitieren hingegen den Wiener Bürgermeister mit dem enigmatischen Satz: "Politikern geht es wie den Hunden. Da zählt auch ein Jahr für sieben."
Was Michael Häupl gewiss nicht hindern wird, seine Hundejahre über den Oktober hinaus zu genießen, verfügt er doch über ein Elixier, um das ihn viele beneiden. Gespendet ward es von Hans Dichand, der neulich bei einer Melange überfloss: Ganz sicher wird der jetzige Bürgermeister Michael Häupl gewinnen, weil sich die große Mehrheit der Wiener gar keinen anderen vorstellen kann! Inserieren verjüngt, dagegen sieht die Rathaus-Opposition mit ihren Notariatsakten alt aus.
Aber zurück ins Geriatrische. Ein Salzburger Blatt steht einem Wiener Bürgermeister naturgemäß skeptisch gegenüber. Es stellte dessen kynologischer Zahlenmystik eine eigene entgegen, nämlich eine Dreifachbelastung. Diese besteht aber nicht, wie der politische Laie vermuten könnte, aus drei, sondern aus fünf Risikofaktoren, nämlich Schlafdefizit, falsche Ernährung, Alkohol, mageres Familien- bei gelegentlich bürogebundenem Sexualleben und schließlich ständige Beobachtung durch Medien. Der Verdacht, dass, abgesehen vom medialen Stalking, der aktive Durchschnittsösterreicher nicht gar so viel anders lebt als sein Repräsentant, wird von den "Salzburger Nachrichten" abschließend mit dem Satz bestätigt: Tatsache ist, dass Jahre in der Politik zumindest doppelt zählen, was doch deutlich weniger ist als Häupls Hunderechnung oder Gusenbauers Verfünffachung. Der hatte freilich schwer unter Gesuder zu leiden.
Es gibt aber auch Faktoren, die sich auf das Politikerleben verjüngend auswirken könnten, und das paradoxerweise gerade wegen der ständigen Beobachtung durch die Medien. Wenn es die richtigen sind. Berichte wie jener exklusive in der "Kronen Zeitung" über den Liebesurlaub in Bella Venezia, den sich der Bundeskanzler mit Gattin in Italien gönnte, entschädigen den Politiker durch das Überlegenheitsgefühl, das ihm ein Blick auf den geistigen Verfall des Journalismus vermitteln kann.
Abschalten, die Seele baumeln lassen, Kraft tanken. That 's Amore, so demonstrierte die neue Adabei des Blattes namens Dora Varro, was außerhalb der Politik unter Stress geleistet werden kann. Wer turtelt denn da? Bundeskanzler Werner Faymann ist auch nur ein Mensch. 24 Stunden legte der Bundeskanzler seine rote Krawatte ab und genoss in T-Shirt und Turnschuhen mit seiner bezaubernden Gattin Martina, mit der er schon seit neun Jahren verheiratet ist, die italienische Liebesstadt in vollen Zügen. Wenn er es nur ausgehalten hat, wo er doch auch nur ein Mensch ist. Tja, auch ein viel beschäftigter Bundeskanzler muss einmal eine kleine, winzige Pause machen, aber wie heißt es doch so schön? "Die Qualität zählt und nicht die Quantität." (Günter Traxler, DER STANDARD; Printausgabe, 8./9.5.2010)