Berlin/Rostock - Als das Rostocker Oberlandesgericht an diesem Freitag ein Urteil fällt, das es so in Deutschland noch nie gegeben hat, weint Ines S. im Gerichtssaal vor Erleichterung und Rührung. Die 29-jährige Brandenburgerin hat soeben einen bis dato einmaligen Rechtsstreit gewonnen: Eine Neubrandenburger Klinik muss der jungen Witwe deren Eizellen überlassen, die zuvor mit dem Sperma ihres mittlerweile toten Ehemannes befruchtet worden sind. Wahrscheinlich wird Ines S. Rechtsgeschichte schreiben: Sie könnte die erste Frau in Deutschland sein, die von einem Toten schwanger wird.

Als sich Ines S. und Sandro S. 2002 kennenlernen, ist für die beiden schnell klar: Sie wollen ein Haus bauen und auf jeden Fall Kinder haben. Doch Letzteres klappt nicht auf natürlichem Weg. Also wendet sich das junge Paar an die Klinik. Dort werden neun Eizellen der Frau per In-vitro-Methode mit dem Sperma ihres Mannes befruchtet. Doch noch bevor die Eizellen eingesetzt werden können, stirbt Sandro S. 2008 bei einem Motorradunfall.

Embryonenschutzgesetz

Ines S. möchte dennoch - oder gerade deswegen - ein Kind von ihrem Mann. Die Klinik aber verweigert die Herausgabe der befruchteten Eizellen, Chef-Gynäkologe Roland Sudik beruft sich auf das Embryonenschutzgesetz. Dieses verbietet es, Eizellen mit dem Sperma von Toten zu befruchten. In erster Instanz bekommt die Klinik Recht.

Ines S. aber kämpft weiter und zieht vor das Rostocker Oberlandesgericht. Das sieht die Sache anders: Zwar dürfe der Samen von bereits Verstorbenen tatsächlich nicht verwendet werden. Aber im Fall von Ines S. sei der Samen ihres Mannes schon vor dessen Tod verwendet und untrennbar von der Eizelle eingeschlossen worden. Daher muss die Klinik die Eizellen herausgeben.

"Der Gesetzgeber hat die Pflicht, die Vorschriften zu prüfen", mahnte die Kammer bei der Urteilsbegründung. Denn Ines S. könnte bald kein Einzelfall mehr sein. Bereits im ersten Prozess wiesen Richter darauf hin, dass Frauen von Soldaten, die nach Afghanistan gehen, zuvor befruchtete Eizellen einfrieren lassen könnten und dass diesbezüglich womöglich eine Grundsatzentscheidung anstehe.

"Meine Mandantin ist überglücklich", sagt die Anwältin von Ines S. Das Urteil fiel genau an ihrem sechsten Hochzeitstag. Die Eizellen will sie sich in Polen einsetzen lassen. Dort sind die Gesetze nicht so streng. (bau/DER STANDARD, Printausgabe, 8. Mai 2010)