Die Babys in den rosa Stramplern wollten sich partout nicht für ein Foto zur Verfügung stellen, deswegen nimmt die Hebamme Renate Großbichler den kleinen Antonius auf den Arm.

Foto: Standard/Heribert Corn/www.corn.at

Schuld war das rosa Schweinderl. Mit 17 Jahren saß Renate Großbichler-Ulrich vor dem Fernseher und schaute sich die Sendung Was bin ich? an, eine Berufe-Rateshow mit Kultstatus, bei der jede Fragerunde mit "Welches Schweinderl hätten's denn gern?" startete. Der zu erratende Beruf war - no na - Hebamme, ein Job, von dem Großbichler-Ulrich bis zu jenem Moment gar nicht wusste, dass es ihn gab. "Nach der Sendung war mir klar - das möchte ich auch machen", sagt die leitende Hebamme in einem Kreißsaal des SMZ-Ost. Im Hintergrund steht eine rosarote Badewanne für Wassergeburten. Sie ist leer und blitzblank.

Auf den Tag genau 18 Jahre lang macht sie inzwischen den Job - seit das große Krankenhaus jenseits der Donau aufgesperrt hat. Wie viele Babys sie in all den Jahren zur Welt gebracht hat? "Um die tausend, würd ich schätzen, wenn ich müsste. Und ich kann vor Rührung immer noch weinen", sagt sie. Ob sie mehr Buben oder mehr Mädchen abwiegen und einwickeln durfte? "Ich denke, halbe-halbe. So wie es immer war. Die Natur teilt sich das schon ganz gut ein."

Wenn es um die Geburt an sich geht, kennt die Profi-Geburtshelferin keine Unterschiede zwischen Buben und Mädchen. Die Säuglinge würden auch nicht geschlechterspezifisch schreien oder nuckeln. "Vielleicht sind Mädchen etwas robuster", setzt sie nach.

Die Zahl der Eltern, die wissen wollen, ob sie sich auf einen hellblauen oder rosaroten Strampler einstellen müssen, sieht die Hebamme seit fünf Jahren eher rückläufig. "Ich denke, unsere Welt ist so planbar geworden, dass die Sehnsucht nach Überraschungen wächst, gerade wenn es um ein im Prinzip freudiges Ereignis geht."

Die große Mehrheit, die aber noch immer wissen will, ob Büblein oder Mädchen auf sie zukommen, erfährt dies heutzutage längst beim Ultraschall, also lange vor der Niederkunft. Die Fehlerquelle beziffert Großbichler-Ulrich mit fünf Prozent. "Aber auch in diesen Fällen ist selten jemand enttäuscht. In erster Linie sind so gut wie alle Eltern erst einmal erleichtert, wenn alles gutgegangen ist." Es komme auch vor, dass ein Elternteil während der Schwangerschaft über das Geschlecht Bescheid weiß, der andere aber nicht. Und es gebe auch Eltern, die so lange herumprobieren, bis sie endlich den ersehnten Racker oder das heiß begehrte Prinzesschen bekommen. In diesen Fällen sei aber meistens beim fünften oder sechsten Kind Schluss. "Wir hatten vor Jahren ein Paar hier, das bereits fünf Töchter hatte", sagt Großbichler-Ulrich und erzählt weiter, "eine Fruchtwasseruntersuchung kündigte auch für die sechste Geburt ein Mädchen an. Auf die Welt kam dann aber doch ein Bub. Dem Vater sind die Tränen waagrecht aus den Augen geschossen. Und das war kein sanfter Typ. Der Sohn ist heute noch sein Burli."

Es ist ruhig an diesem Vormittag auf der Geburtsstation. Im Hebammenzimmer gibt es Kaffee. Man sieht keine schwer atmenden, werdenden Mütter, die sich am Geländer den Flur entlangwinden, also auch keine sorgenverzerrten Papigesichter. Lediglich eine Hebamme geht beschwingt vorbei. Auf der Rückseite ihres blauen Polo-Shirts fliegt ein Storch mit Baby im Schnabel. Sie schiebt ein gelbes Babywägelchen vor sich her. Es ist leer. Nichts ist zu hören von den zweieinhalb Geburten, die gerade in den Kreißsälen erwartet werden. Wofür das "halb" steht? "Da wissen wir noch nicht, ob das Baby auch wirklich schon kommen will", sagt Großbichler-Ulrich, die ein Team von insgesamt 24 Hebammen leitet.

Klar kennt die Hebamme den Spruch "Mir ist egal, was es wird, Hauptsache, der Bub ist gesund". Besonders im Geburtsvorbeitungskurs hört sie diesen dann und wann. "Ich glaube, werdende Väter, die sich in Gedanken lieber mit dem Junior auf dem Fußballplatz als in der Puppenstube sehen, trauen sich das heutzutage nicht mehr so zuzugeben", berichtet die 44-Jährige, die selbst Mutter einer sechsjährigen Tochter ist. Dabei sei sie überzeugt gewesen, dass sie einen Buben bekommen würde. Wieso? "Nun, das hab ich einfach gespürt. Der Arzt am Ultraschall fragte: ,Was tust denn du mit einem Buben?' Der Moment ist so stark in meiner Erinnerung. Ich habe mich sehr gefreut." Worin für sie der Unterschied zwischen Sohn und Tochter besteht? "Ich glaube, eine Tochter bleibt einer Mutter eher als ein Sohn, egal, wie schwierig sich das Verhältnis manchmal gestaltet.

Ich bin sehr froh, eine Tochter geboren zu haben. Ich wusste genau in der Sekunde, als ich es erfahren habe, wie sie heißen würde: Cora - das bedeutet so viel wie Herzchen. Ein Bub hätte Erich heißen müssen. Da hat sie doch Glück gehabt, oder?"

"Bis vor fünf Jahren wollten so gut wie alle werdenden Eltern so früh wie möglich wissen, ob sie ein Mädchen oder einen Buben bekommen. Mir kommt vor, das hat sich geändert." (Michael Hausenblas/DER STANDARD/rondo/08.05.2010)