Wendell Pierce als spielfreudiger Posaunist in der US-Dramaserie "Treme".

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Steve Zahn, Kermit Ruffin und Wendell Pierce.

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Manchmal holt die Wirklichkeit die Fiktion ein: Fünf Jahre nach dem Hurrikan "Katrina" kommt die Ölpest nach Louisiana, und David Simon, Erfinder der Dramaserie Treme, wird der Stoff nicht ausgehen.

Es ist Halbzeit in New Orleans: Fünf von zehn Folgen der ersten Staffel zeigte HBO im US-TV. Bereits nach der ersten Folge war die Begeisterung so groß, dass der Bezahlsender Nachschub bestellte. Die heftig gewünschte Nachfolgeserie der Sopranos scheint damit gefunden. David Simon gilt als derzeit unerreichbarer Serienmacher. Mit präzisen Milieu- und Charakterbeschreibungen wie The Corner, The Wire und Generation Kill behauptet der fünfzigjährige Exreporter seine Alleinstellung als kreativster Serienkopf des Fernsehens. The Wire gilt vielen als die beste Serie aller Zeiten. Rund 200 Figuren traten in fünf Staffeln auf. In manchen Folgen knüpfte er fünf bis sieben Handlungsstränge parallel.

Wie in The Wire sind auch in Treme alle schwer beschäftigt oder tun zumindest, als ob: John Goodman (The Big Lebowski) klagt als zorniger Collegeprofessor Missstände an. Steve Zahn (Bandidas) schreckt die Nachbarn mit rebellischer Hippie-Attitüde. Khandi Alexander (Miami Vice) sucht nach ihrem vermissten Bruder. Und Wendell Pierce (The Wire) spielt Posaune - oder er singt. Andauernd. Egal ob er im Wartezimmer sitzt oder in der Bar flirtet.

Gaststars

Was sonst? Bis heute ist der rund 9000 Einwohner zählende Stadtteil Treme Zentrum der afroamerikanischen und kreolischen Kultur mit vielen kriminellen, vor allem aber musikalischen Zellen. Während die Serieneinwohner sich mit den Folgen der Flut abmühen, wird ständig musiziert, in Bars, Restaurantküchen, bei Paraden, aus Autoradios. Musik steht im Vordergrund und unterlegt Dialoge. Gaststars wie Elvis Costello, Allen Toussaint, Dr. John und Steve Earle tragen sie vor, ebenso lokale Bands aus New Orleans.

Mit Treme schreibt Simon das TV-Genre "Postkatastrophenserie" weiter: Wie in Lost (Flugzeugabsturz), Rescue Me (Feuerwehr nach 9/11) und Flash Forward (globales Blackout) führt Treme zum Unglücksort, wenn scheinbar das Gröbste vorbei ist - und in Wahrheit erst beginnt. In New Orleans kamen mit Sturm und Flut Dammbrüche, Plünderungen, Morde, Vergewaltigungen, Seuchengefahr, Kriegsrecht. "Eine bundesweite Scheiße epischen Ausmaßes" , umreißt der Professor vor TV-Journalisten den Treme-Kosmos. Den Sumpf aus Rassismus, Korruption, Kriminalität und anschließender Säuberungsaktionen legt Simon Folge für Folge ein Stück freier.

Fraglich, ob das österreichische Publikum Treme je im TV-Programm findet. ORF und ATV winken ab. (Doris Priesching, DER STANDARD; Printausgabe, 11.5.2010)