Wachmann Jara fasst einen Entschluss: Horacio Camandulle in der lakonischen Komödie "Gigante"

Foto: Topkino

Wien - "Dies ist das Bild, das die Kunden von mir haben" , steht oben am Spiegel in der Angestelltengarderobe. Kunden bekommen den Mann, der hier noch einen prüfenden Blick auf sich selbst wirft, allerdings gar nicht zu sehen: Er versieht seinen Dienst als Wachmann in einem großen Supermarkt nachts, wenn dort nur Kollegen sind. Hauptsächlich sitzt er dabei allein in einem Kämmerchen vor den Überwachungsmonitoren und schaut jenen zu, die sich unbeobachtet wähnen.

Sehen und (nicht) gesehen werden ist das zentrale Motiv von Gigante. Das Spielfilmdebüt des gebürtigen Argentiniers Adrián Biniez, angesiedelt in dessen Wahlheimat Uruguay, hatte 2009 im Wettbewerb der Berlinale Premiere und wurde dort gleich dreifach prämiert. Der Titel bezieht sich auf die Hauptfigur, besagten Wachmann: Jara (Horacio Camandulle) ist ein schweigsamer, etwas schwerfälliger und meistens freundlicher Riese. Er hört gerne Heavy Metal - und trägt die entsprechenden Fan-Leiberln. Er löst konzentriert Kreuzworträtsel und führt zwischen Supermarkt und seinem Zweitjob als Türsteher ein eher zurückgezogenes Leben. Manchmal passt er auf seinen kleinen Neffen auf.

Eines Nachts beobachtet er auf seinem Monitor eine der Putzfrauen, wie sie rücklings in einen mannshohen Turm aus Papierrollen fällt. Jara sieht den Unfall kommen. Er muss lachen und genießt zunächst seine unangreifbare, unsichtbare Position. Sein Interesse ist geweckt, er folgt den Schritten der Kollegin via Überwachungskamera. Bald ist das nicht mehr genug, und er wird auch außerhalb des Supermarkts ihr Schatten. Er studiert ihre Gewohnheiten und entdeckt dabei Vorlieben, die seinen eigenen merkwürdig nahe sind.

Dass dieser Stalker als Sympathieträger überhaupt funktioniert, das hängt nicht unwesentlich mit dieser Charakterisierung seines Liebesobjekts zusammen: Julia (Leonor Svarcas) ist kein ahnungsloses Opfer; sie ist eine unabhängige, wache Person - und ihr Beobachter längst nicht so unbemerkt, wie er glaubt.

Visuelles Erzählen

Der Bühnenschauspieler Horacio Camandulle verkörpert Jara mit gekonnter Beiläufigkeit, die der Figur eine ganz unmittelbare, ungekünstelte Präsenz verleiht. Schließlich bevorzugt auch Regisseur und Autor Biniez das visuelle Erzählen, mit Dialogen ist er eher sparsam. Das führt zu kleinen Slapstick-Einlagen, es gibt dem Film insgesamt seinen angenehm lakonischen Anstrich und setzt ihn von vergleichbaren Typenkomödien ab.

Einzig der Umstand, dass zur musikalischen Begleitung unverbindliche Gefälligkeiten dienen, die Connaisseur Jara nie und nimmer in seinen Discman legen würde, ist dann doch ein befremdliches Zugeständnis an Arthouse-Anforderungsprofile. (Isabella Reicher, DER STANDARD/Printausgabe, 11.05.2010)