Grafik: DER STANDARD

Wien - Sie sollen bei Sexorgien vergewaltigt worden sein, trotzdem seien die Täter ungestraft geblieben: Das behaupten zwei ehemalige Zöglinge des Kinderheimes August Aichhorn in Wien-Hietzing, damals elf und 14 Jahre alt. Die Polizei ermittelt nun gegen sechs Verdächtige: den Chef einer Hietzinger Reinigungsfirma und engen Freund des Heimleiters, gegen zwei Mitarbeiter des Heims und drei unbekannte Personen.

Das August-Aichhorn-Heim betreut schwererziehbare Kinder und Jugendliche. Auch die Stadt Wien brachte und bringt dort Kinder unter. In den späten Neunzigerjahren soll der Chef der Reinigungsfirma Zöglingen angeboten haben, für Geld für ihn zu putzen. Wer annahm, soll abgeholt und zu Sexpartys gebracht worden sein. Dort sollen die Burschen vergewaltigt und gezwungen worden sein, benutztes Sexspielzeug zu putzen. Im Keller der Wohnung soll sich eine "Folterkammer" befunden haben, in der Kinderpornos gedreht wurden. Auch Kinder aus anderen Heimen sollen zu den Orgien gebracht worden sein.

Bereits 2001 stand der Chef der Reinigungsfirma wegen der Vorwürfe vor Gericht. Er wurde damals aus Mangel an Beweisen freigesprochen - "Obwohl wir überzeugt sind, dass es sexuelle Kontakte zwischen dem Angeklagten und den Jugendlichen gegeben hat", wie der Richter anmerkte. Die Jugendlichen hatten sich in ihren Aussagen in Widersprüche verwickelt.

Am 19. März 2010 wandten sich die beiden Opfer an die Stadt Wien, diese erstattete erneut Anzeige. Die Wiener Zeitung berichtete groß über den Fall. Die Polizei ermittelt nun wegen der gleichen Taten, allerdings wurden neue Zeugen vernommen, sagt Polizeisprecher Roman Hahslinger. Neue Opfer gebe es nicht.

Die beiden Zöglinge erheben auch Vorwürfe gegen Polizei und Staatsanwaltschaft: Fotos der Orgien, die einer der beiden der Polizei übergeben haben will, sollen verschwunden sein, das Gericht soll relevante Zeugen 2001 nicht einvernommen haben. "Wir müssen die Akten von damals erst lesen, bevor wir dazu etwas sagen können", sagt Paul Vecsey, Sprecher der Staatsanwaltschaft Wien. Der Anwalt des Reinigungsunternehmers weist alle Vorwürfe zurück, die Heimleitung war für eine Stellungnahme nicht erreichbar.

"Die Stadt Wien bringt nur mehr bei speziellem Betreuungsbedarf Kinder in dem Heim unter", sagt Herta Staffa, Sprecherin des Jugendamts. Derzeit seien es "eine Handvoll". Das Amt habe das Heim 2001 wegen der Vorwürfe 14-mal unangemeldet kontrolliert, Hinweise auf Missbrauch wurden nicht gefunden.

Kommission für Wien

Die Stadt Wien will nun eine Kommission einrichten, wie sie die Kirche in Österreich für Missbrauchsvorwürfe eingesetzt hat: "Es gibt erste Überlegungen, eine Historikerkommission einzurichten, die sich mit städtischen Heimen beschäftigt und die pädagogischen Konzepte aufarbeitet", sagt Monika Sperber, Sprecherin des zuständigen Bildungsstadtrats Christian Oxonitsch (SP).

Seit Ende März gibt es eine Hotline der Stadt Wien (70 77 000) für Missbrauchsopfer. 17 Menschen riefen bisher an, 11 gaben an, in städtischen Heimen missbraucht worden zu sein, fünf in kirchlichen, einer in der Familie. Die meisten Fälle liegen mindestens 30 Jahre zurück. (Tobias Müller/DER STANDARD, Printausgabe, 12./13. Mai 2010)