Foto: Rene van Bakel

Das Niedrigenergiehaus des Forstbetriebs Oberinntal, westlichster Betriebsstandort der Österreichischen Bundesforste, steht auf histo¬rischem Boden. Betriebsleiter Egon Fritz blickt von seinem Schreibtisch aus auf die mittelalterliche Burg Hasegg, einst Zentrum der Haller Salzgewinnung. "Wenn man sich vorstellt, was die im Mittelalter an Holz verbraucht haben, ein Wahnsinn", zeigt Fritz über die Altstadt hinaus auf das Halltal. Über 700 Jahre lang wurde dort Salz abgebaut, Holz hat die Stollen getragen, durch Holzleitungen floss die Sole hinaus zu den Sudpfannen am Inn, die wiederum mit Holz beheizt wurden. Weil der Bedarf aus der Haller Umgebung nicht gedeckt werden konnte, wurden Baumstämme aus dem gesamten Oberinntal über den Inn ans Haller Ufer gedriftet. "Kahlschlag riesigen Ausmaß es haben sie betrieben, da war kein Wald mehr rund um Hall", zeigt Fritz auf die Karwendelausläufer. Heute ist das Halltal das südliche Eingangstor zum Alpenpark Karwendel, mit 727 Quadratkilometern Österreichs größter Naturpark.

Rasche Ernte, maximaler Profit lautete bis in die 1970er-Jahre die Devise, Fichtenmonokulturen zeugen davon. Die moderne Forstwirtschaft sei nachhaltig, versichert Fritz: "Wir sind nicht auf kurzfristigen Nutzen ausgerichtet, sondern wollen so wirtschaften, wie es eigentlich der Wald, die Natur vorgibt." Ein intaktes Ökosystem ist das Ziel, die Alpenstrategie ein Weg dahin. "Die vielen, vielen Sitzungen haben nur zu einem guten Ergebnis geführt, weil alle Verhandlungspartner wirklich zu einem brauchbaren Papier kommen wollten", lässt Peter Haßlacher, Vorsitzender von Cipra Österreich und auch mitbeteiligt an der Ausarbeitung der Alpenkonvention (siehe Kasten), keine Zweifel an den hehren Absichten aufkommen. International gesehen sei die Alpenstrategie ein Vorzeigeprojekt, man müsse nun in Workshops, Schulungen "ein Gefühl dafür entwickeln, was in dem Papier steckt", gibt sich der streitbare Alpenschützer realistisch. Ob das Papier halte, würden Bewährungsproben wie der Wunsch nach neuen Skigebieten zeigen. Haßlacher: "Der Sinn der Alpenstrategie ist ja, dass bei den Bundesforsten keine Fehlentwicklungen mehr stattfinden."

Zurück in die Forstpraxis: Seit 2002 beschäftige man sich auch im Oberinntal intensiv mit den Zielen der Alpenkonvention, sagt Fritz: "Im Prinzip betreffen uns alle Konventionsprotokolle, am meisten jedoch das Bergwaldprotokoll." 158.000 Hektar Fläche besitzen die Bundesforste im Oberinntal, 54.000 Hektar davon im Karwendel. Der Oberinntaler Betrieb ist der einzige der zwölf Bundesforste-Betriebe, der über mehr Schutz-als Wirtschaftswald verfügt. Laut Alpenkonventions-Protokoll ist der Bergwald "als naturnaher Lebensraum zu erhalten, erforderlichenfalls zu entwickeln oder zu vermehren und seine Stabilität zu verbessern". Für den Praktiker Fritz heißt das: "Weiterbringen sollen wir den Wald, im positiven Sinne. Uns geht's dabei um pflegliche Nutzung und vor allem um die Aufrechterhaltung der Schutzfunktion." Verjüngung sei notwendig, sagt der Forstexperte: "Schutzwälder sind oft schon sehr alt und dicht, da kann nichts mehr nachwachsen, weil kein Licht mehr durchkommt. Da ist es klüger, alte Bäume zu entnehmen, damit junge nachwachsen." Noch dominieren Fichte, Buche und Tanne. "Im hochalpinen Bereich wachsen Fichte und Lärche, da passt das. Aber wenn ich zum Beispiel da hinausschaue ins Kalkgebirge", zeigt Fritz Richtung Karwendel, "da brauchen wir den Mischwald, das Laubholz." Ziel nachhaltiger Forstwirtschaft sei die Naturverjüngung. "Die autochthonen Bestände, also die, die seit Jahrhunderten hier wachsen, wollen wir haben."

Eine halbe Auto- und Seilbahnstunde später, hoch über dem Achensee, zeigt Fritz auf ausgedehnte Föhrenbestände, erzählt, dass im Karwendel sogar die Zirbe gedeihe, obwohl sie in den nördlichen Kalkalpen so selten vorkomme. Der Bergahorn hat dem Großen Ahornboden, einem beliebten Wandergebiet im Risstal, seinen Namen gegeben, und im wilden Vompertal ist das größte Eibenvorkommen Mitteleuropas zu finden. Die Vielfalt wäre vorhanden, man müsse sie nur gedeihen lassen. Wie sich der Wald ohne Zutun der Menschen entwickle, lasse sich in den Naturwaldreservaten beobachten, erzählt Fritz. 1000 Hektar "Urwald" hat er in seinem Betrieb, 400 Hektar davon im Karwendel. Naturwald bedeutet, "dass wir den Wald einfach stehen und wachsen lassen, wie er wächst. Da wird kein Baum herausgenommen, alles wird der Natur überlassen." Aus diesen Reservaten lerne man Wesentliches für den Bergwald, sagt Fritz, nämlich: "Die Wälder regenerieren sich selbst, wenn die Außeneinflüsse nicht zu groß sind."

Wild- und Weideeinflüsse gelte es in Grenzen zu halten und die Begehrlichkeiten des Tourismus. Wo Landwirtschaft und Tourismus den Waldbewohnern zu arg zusetzen, wird abgezäunt - wie im Brutgebiet des seltenen Flussuferläufers im Risstal. Prinzipiell setzt man im Karwendel aber auf sanfte Lenkung. "Wir geben gewisse Routen für Biker frei, schaffen schöne Rundkurse, bewahren auch ganz bewusst Ruhezonen, selbst in Gebieten, wo Forststraßen vorhanden wären." Grenzen setzen müsse man auch den Skitourengehern, "damit sie uns nicht über die Verjüngungsflächen fahren und die jungen Bäume abrasieren".

Ein wunder Punkt ist der Individualverkehr. Das Verkehrs-Protokoll umzusetzen und gute Lösungen für den Park zu schaffen, sei Sache des Landes, sagt Haßlacher, "die Bundesforste könnten Verbündete sein". "Wie den Wald, so sollte man auch die Welt betrachten", sinniert Fritz am Ende des Karwendelausflugs, "nicht nur unter dem ökonomischen Aspekt, sondern unter sozialen und ökologischen Gesichtspunkten.