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Deniz Baykal führt die CHP nach rechts.

Foto: EPA/Frank Maechler

Fünf Tage nach dem Rücktritt des langjährigen Oppositionsführers im türkischen Parlament, Deniz Baykal, ist kein Nachfolger in Sicht. Dafür wird über das Sex-Video, das Baykal zu Fall brachte, spekuliert und Baykal innerhalb seiner Partei, der kemalistischen, ehemals sozialdemokratischen CHP, immer mehr zum Helden stilisiert, der Opfer übler Machenschaften des politischen Gegners geworden sei.

Statt die Diskussion auf einen Nachfolger zu fokussieren, versuchen Parteivorstand und Abgeordnete Baykal zu überreden, seine Entscheidung zurückzunehmen. Am 22. Mai ist allerdings Parteitag der CHP, auf dem über den Parteivorsitz diskutiert werden muss - ein Vorgang, der der CHP, die seit 18 Jahren auf Baykal ausgerichtet war, sichtlich schwer fällt.

Dabei sind drei Szenarien denkbar, die für die Zukunft der türkischen Politik erhebliche Auswirkungen haben dürften. Wenn Baykal wieder antritt, könnte er seinen neu gewonnenen Opfermythos nutzen, um jede Kritik an ihm in der CHP zu ersticken. Oder er schickt einen seiner Getreuen vor und dirigiert die Partei aus dem Hintergrund. Beides würde den weiteren Niedergang der CHP aber nur beschleunigen und entsprechend der regierenden AKP und Tayyip Erdogan zugute kommen.

Baykal hat als Vorsitzender nie eine Wahl gewonnen. Im Jahr 1999 scheiterte die Partei sogar an der Zehn-Prozent-Hürde und flog aus dem Parlament. Er gab damals den Vorsitz für zwei Jahre auf, ließ sich dann aber erneut zum Chef wählen. Seitdem hat er die Partei immer weiter nach rechts gerückt.

Daran könnte sich nur etwas ändern, wenn sich ein Kandidat aus der Deckung traut, der nicht direkt zum "System Baykal" gehört und genug eigenes Gewicht besitzt, um innerhalb und außerhalb der CHP bestehen zu können. Davon gibt es nicht mehr sehr viele, denn Baykal versucht seit Jahren, Konkurrenten auszuschalten. Trotzdem sind einige Personen im Gespräch. Als erstes fällt immer der Name Kemal Kilicdaroglu. Der Mann war vor einem Jahr bei den Kommunalwahlen in Istanbul angetreten und hat es fast geschafft, Bürgermeister Topbas vom Thron zu stoßen. Kilicdaroglu hat unabhängig von Baykal eine eigene Machtbasis in Istanbul und gilt als absolut integer. Der zweite Mann ist Murat Karayalcin, früher Bürgermeister in Ankara, der eine eigene linke Partei gegründet hat, nachdem Baykal ihn aus der CHP drängte und nun beide Parteien gerne fusionieren würde. Interesse hätte auch der Schriftsteller, Sänger und Filmemacher Zülfü Livanelli, ebenfalls ein Baykal-Opfer, das gerne in die Politik zurückkehren würde. (Jürgen Gottschlich aus Istanbul, DER STANDARD, Printausgabe, 14.5.2010)