Punkt und Komma werden im Haus der Übersetzerin Swetlana Geier (li.) von einem laut vorlesenden Musiker kontrolliert.

Foto: Stadtkino

Wien - "Nase hoch beim Übersetzen": Nicht Hochnäsigkeit ist damit gemeint, sondern die Loslösung vom Text. Eine Übersetzung muss klingen, um zu stimmen. Erst, wenn sie sich einen russischen Text im wahrsten Sinne verinnerlicht hat, kann Swetlana Geier nach passenden deutschen Worten suchen. "Die Übersetzung entsteht immer aus dem Ganzen", sagt Geier, der für ihre Neuübersetzungen der großen Dostojewski-Romane in den vergangenen Jahren glücklicherweise späte, verdiente Anerkennung zuteilwurde und zwei Biografien gewidmet sind (erschienen im Ammann sowie im Pforte Verlag).

Glücklicherweise aus zwei Gründen: Erstens lernt, wer sich auf Swetlana Geier einlässt (etwa Puschkin zu Ehren bei Fischer sowie der unendlich wertvolle Anmerkungsapparat zu Dostojewskij), Literatur und Sprache tiefer begreifen. Zweitens überlebte Swetlana Geier zwei Diktaturen, erfordert ihr von der niederschmetternden europäischen Geschichte geprägtes Leben geradezu, erzählt zu werden.

Regisseur Vadim Jendreyko spürt in seinem Film Die Frau mit den 5 Elefanten dem ungewöhnlichen Schicksal Swetlana Geiers nach. Er begleitet die heute 87-Jährige auf eine Reise in ihre Geburtsstadt Kiew: 1939 starb hier ihr Vater durch den stalinistischen Terror, hier begann Swetlana Geier wenige Jahre später unter nationalsozialistischer Besatzung als Dolmetscherin zu arbeiten. Mit dem Rückzug der Nazis kam sie erst nach Berlin, dann nach Freiburg im Breisgau, wo sie bis heute lebt. Sie sagt, sie sei "dem Leben etwas schuldig", auch Deutschland, dem Land, das sie mit Goethe verbindet und nicht mit Hitler.

Reise nach Kiew

Jendreyko bewahrt in seinem Dokumentarfilm die Lebensgeschichten Swetlana Geiers behutsam auf: Stalins Russland, Hitlers Deutschland, der gewaltsame Tod ihres Vaters, das Unglück mit dem tragischen Tod ihres Sohnes. Die Reise nach Kiew steht im Mittelpunkt des Films. Vor und nach der Reise zeigt Jendreyko Besuche im gemütlichen Freiburger Wohnhaus der Übersetzerin und gibt damit Einblicke in deren mittlerweile legendär gewordene Arbeitsweise.

Swetlana Geier übersetzt, schon das ist eher ungewöhnlich, aus ihrer Muttersprache, dem Russischen, ins Deutsche. Eine gewisse Frau Hagen, eine "unglaublich belesene" alte Dame, kommt morgens um neun und tippt an einer laut klappernden Schreibmaschine Geiers Übersetzungen. Zur Abnahme der Texte kommt ein ebenso belesener wie kritischer Musiker zu Swetlana Geier, der laut vorliest und energisch auf Punkt und Komma achtet. Die Kamera stöbert eine Schar Enkel- und Urenkelkinder in der Küche auf, es wird gekocht. Über ihren Köpfen fällt der Schwarzwald ins Fenster.

Die im Filmtitel untergebrachten "fünf Elefanten" laufen uns nicht in Kiew über den Weg. Swetlana Geier hievt sie mit physischer Anstrengung auf ihren Arbeitstisch: fünf schwere, dicke Bände des renommierten Zürcher Ammann-Verlages, mehrere tausend Seiten insgesamt. Dostojewski hat ihr Leben verändert, sagt die Übersetzerin. Das Geheimnis seiner wie aller hochwertigen Texte ist Folgendes: "Man kann sie nicht ausschöpfen." (Isabella Pohl / DER STANDARD, Printausgabe, 14.5.2010)