Dietmar Unterkofler:"Früher waren Balkanlokale in Wien für mich etwas Exotisches, inzwischen ist die Exotik verflogen."

 

Foto: daStandard.at/Mascha Dabic

Dietmar Unterkofler lebt seit zweieinhalb Jahren in Belgrad. Der 1979 in Bozen geborene Germanist und Literaturwissenschaftler studierte in Wien und Bologna. In seiner Dissertation beschäftigt er sich mit dem künstlerischen Schaffen der jugoslawischen Neoavantgarde in den Sechziger und Siebziger Jahren. Im Zuge von Recherchearbeiten zog er nach Belgrad, später nahm er die Stelle des Österreich-Lektors an der Universität Novi Sad an. Er ist auch als freier Publizist und Übersetzer tätig.

daStandard.at: Mit Fremdsein hast du viel Erfahrung. In Serbien bist du Österreich-Lektor, in Österreich bist du ein Südtiroler, in Italien bist du Angehöriger der deutschsprachigen Minderheit. Wie war das für dich, aus Bozen nach Wien zu ziehen?

Dietmar Unterkofler: Natürlich war Wien Ausland, aber Deutsch ist meine Muttersprache, insofern gab es keine Sprachbarriere. Bei der Wahl der Studienortes bin ich pragmatisch vorgegangen. In Österreich gab es damals keine Studiengebühren, in Italien dagegen schon, relativ hohe sogar. Und klar gibt es in Südtirol ein Naheverhältnis zu Österreich, viele Südtiroler studieren in Innsbruck. Ich wollte aber nicht jedes Wochenende nach Hause fahren, deshalb wollte ich in Wien studieren. Da musste ich mich erstmal auf das Großstadtleben einstellen, Südtirol ist ja eine provinzielle Gegend.

Mein Erasmus-Semester habe ich dann in Bologna gemacht, da habe ich mich zu Hause gefühlt, man kennt ja alles. Allerdings hört man bei mir im Italienischen einen Akzent heraus, in Italien gerät man deshalb als Südtiroler manchmal in Erklärungsnot. Viele Italiener südlich von Verona wissen gar nicht, dass es im Norden eine deutschsprachige Minderheit gibt.

daStandard.at: Nach dem Studium folgte dann der Umzug nach Serbien. Was fandest du am Anfang gewöhnungsbedürftig?

Unterkofler: Am Anfang machte mir die Sprache zu schaffen. Ich hatte zuvor Sprachkurse auf der Slawistik besucht, aber die ersten Monate waren hart. Die Kommunikation im Alltag, im Supermarkt oder im Restaurant kostete anfangs viel Überwindung.

Ich kam im Februar 2008 nach Belgrad, und einige Tage später erklärte sich der Kosovo für unabhängig. Die Atmosphäre in der Stadt war angespannt, aggressiv, voll von Frustrationen. Ausländern wurde geraten, das Land zu verlassen und Menschenansammlungen zu meiden.

Der Lebensstandard ist viel niedriger als in Österreich, das merkt man auf Schritt und Tritt, auch wenn man selbst nicht betroffen ist. Die Preise sind fast so hoch wie in Österreich, aber das durchschnittliche Monatsgehalt liegt bei 300 Euro. Da fragt man sich schon, wie die Leute über die Runden kommen, wie sie überleben. Früher war Europa sehr weit weg, man kannte es aus Büchern und Filmen, nicht aber aus eigener Erfahrung, es gab eine psychologische Barriere. Durch die Aufhebung der Visumspflicht (Schengen-Visum, Anm.d.Red.) ist das jetzt anders geworden.

daStandard.at: Wenn du ab und zu nach Österreich fährst, siehst du dann die hier lebenden Menschen aus Ex-Jugoslawien mit anderen Augen?

Unterkofler: Ja, auf jeden Fall. Ich verstehe jetzt, was die Leute in der U-Bahn miteinander sprechen und merke, wieviel Bosnisch-Kroatisch-Serbisch in Wien gesprochen wird. Früher waren Balkanlokale in Wien für mich etwas Exotisches, inzwischen ist die Exotik in meinen Augen verflogen. Die ex-jugoslawische Community ist einfach ein absolut integraler Teil von Wien.

Interessant finde ich auch, wie in Serbien die Gastarbeiter wahrgenommen werden. Viele haben sich in Serbien große Häuser gebaut, die dann leer stehen, oder fahren mit teuren Autos herum. Die Belgrader belächeln das ein bisschen.

daStandard.at: Hast du in Serbien viel Kontakt mit anderen Ausländern?

Unterkofler: Ich kenne viele deutschsprachige Ausländer hier, und auch Leute aus anderen europäischen Ländern, die in internationalen Organisationen oder Firmen arbeiten. Die meisten sind sehr gerne hier und haben ihre Serbien-Klischees abgelegt, bemühen sich auch, die Sprache zu lernen. Ich kenne einige Engländer, die sich weigern, die Sprache zu lernen, aber für die meisten ist die Sprache wichtig, sonst kann man ja nicht mitreden.
Manchmal haben Verschwörungstheorien in Serbien Hochkonjuntur, dann wird alles Ausländische abgelehnt. Andererseits gibt es auch viele Serben, die ihr Land überkritisch sehen, die alles Serbische hassen, und alles, wo EU draufsteht, super finden. Diese Verherrlichung der EU ist aber auch eine gefährliche Tendenz. Natürlich gibt es in Serbien vieles, das zu kritisieren ist, aber es gibt auch eine gewisse Normalität im Land.

daStandard.at: Geht dir in Serbien etwas ab?

Unterkofler: Klar läuft vieles leichter in Österreich. In Serbien dagegen ist vieles mit Anstrengung verbunden, Reisen zum Beispiel. Andererseits kann man in Serbien spontaner leben. Manchmal habe ich Lust auf einen Schweinsbraten bei den zwei Lieseln (lacht). Aber eigentlich vermisse ich hier nur meine Freunde, die in Wien leben. (daStandard.at, 14.5.2010)