Valie Export verstörte 1968 mit ihren Aktionen: Man durfte im Tapp- und Tastkino ihre Brüste berühren. Und sie führte Peter Weibel an der Leine durch Wien (Aus der Mappe der Hundigkeit).

Foto: Valie Export

Zur Person:
Valie Export wurde am 17. Mai 1940 als Waltraud Lehner in Linz geboren. Die Medienkünstlerin und Performerin nahm u. a. 1977 an der Documenta 6 in Kassel teil und lehrte an der University of Wisconsin-Milwaukee, an der Hochschule der Künste Berlin und an der Kunsthochschule für Medien Köln. Im Herbst zeigt sie die Installationen der letzten 20 Jahre in zwei miteinander verzahnten Ausstellungen im Belvedere (Eröffnung: 15. 10.) und im Linzer Lentos (Eröffnung: 16. 10.). 2011 wird sie ihr persönliches Archiv mit einer Ausstellung im Kunsthaus Bregenz zugänglich machen.

Foto: Heribert Corn

Standard: Darf ich zum Geburtstag gratulieren? Oder hassen Sie es ebenso wie Maria Lassnig, mit der Sie sich vor 30 Jahren den Österreich-Pavillon auf der Biennale Venedig geteilt haben und die es empörend findet, dass man als Frau mit dem Alter abgestempelt ist?

Export: Das stimmt natürlich, dass man als Frau sofort abgestempelt wird. Andererseits weiß ich ja schon seit Jahren, dass ich 70 werde. Es stört mich nicht. Es ist so.

Standard: Wird sich die Tabubrecherin Export mit dem Tabu Alter künstlerisch beschäftigen?

Export: Bis jetzt ist mir der Gedanke noch nicht gekommen.

Standard: Bei vielen Ihrer Performances waren Sie nackt. Welche Bedeutung hat Nacktheit für Sie?

Export: Ich wollte keine Zuordnung durch die Kleidung. Denn egal, was man trägt: Es hat eine bestimmte Zuordnung und Konnotation. Aber es ist eine gute Frage im Zusammenhang mit Alter. Denn wenn ich jetzt nackt eine Performance machen würde, wäre die Zuordnung allein das Alter.

Standard: Beim "Tapp- und Tastkino" konnten völlig fremde Menschen eine halbe Minute lang Ihren Busen abtasten. Die "Aktionshose Genitalpanik" zeigt Sie mit geöffnetem Schritt. Wie hält man das aus? Braucht es dazu ein gewisses Ausmaß an Exhibitionismus?

Export: Nein, ich bin keine Exhibitionistin, es gab immer Hemmungen. Doch im Moment der Performance schaltet man ab. Allerdings würde ich mich nicht im Anschluss an die Performance nackt vors Publikum stellen, um zu diskutieren. Der Körper wäre dann in einem völlig anderen Kontext. Ich habe erkannt, wie unglaublich schwierig es ist, weibliche Attribute im öffentlichen Raum darzustellen.

Standard: Sie haben viel mit Sprache gearbeitet. Gibt es so etwas wie eine männliche und eine weibliche Sprache?

Export: Ich sage: Nein, es gibt keine männliche und weibliche Sprache. Einerseits. Andererseits ist Sprache von der Person abhängig, davon, wie das gesellschaftliche Umfeld ist, in welchen kulturellen und zivilisatorischen Zusammenhängen jemand aufwächst. Das prägt. Daher natürlich auch die Geschlechterzugehörigkeit - deshalb gibt es sehr wohl einen männlichen und weiblichen Ausdruck. Gewalt beispielsweise wird von Männern und Frauen anders ausgedrückt. Oder auch das Thema Macht. Aber man kann eben nicht sagen, es gibt dezidiert eine männliche und eine weibliche Sprache. Was würde man denn dann mit Menschen machen, die transgender sind? Sie hätten keine Sprache.

Standard: Sie haben oft explizit Ausstellungen mit Frauen gemacht. Weil es doch eine männliche und eine weibliche Kunst gibt?

Export: Nein. Aber man muss darauf hinweisen, dass Frauen Kunst machen - nicht darauf, dass es männliche oder weibliche Kunst. Das war dazumal, in den 60er-, 70er-Jahren, wichtig. Da haben wir es "Frauenkunst" genannt. Doch das ist jetzt obsolet.

Standard: Vor zwei Jahren haben Sie das Ehrendoktorat der Kunstuniversität Linz bekommen, nun haben Sie für die Linzer eine Edition aufgelegt, deren Erlös in einen Valie-Export-Preis fließt.

Export: Beide Ehrungen freuen mich sehr, die Kunst-Uni Linz macht vieles von dem wieder gut, was mir Linz und Österreich angetan haben.

Standard: Der Preis wird alle zwei Jahre an eine Kunststudierende verliehen werden. Wenn Sie die 1960er-Jahre mit heute vergleichen: Haben es die Künstlerinnen nun leichter?

Export: Natürlich. Land-Art, Performances, Installationen, Expanded Cinema: Das waren damals völlig unbekannte Begriffe hierzulande. International gab es das natürlich bereits alles. Aber in Österreich gab es darüber null Reflexion. Außerdem habe ich mit Medien gearbeitet, die damals als nichtkünstlerisch gegolten und eine neue, eine performative Ästhetik erzeugt haben. Das konnte hier niemand einordnen. Und drittens war ich eine Frau mit einem dezidiert feministischen Standpunkt. Das hat die Rezeption in Österreich mehr oder minder unmöglich gemacht. Ich konnte meine Arbeiten zwar ziemlich schnell im Ausland zeigen. Aber der Satz, man müsse sich zuerst im Ausland bewähren, um in der Heimat anerkannt zu werden: den finde ich eine ziemliche Zumutung.

Standard: Expanded Cinema. Ex-port. Viel "Ex" in Ihrer Karriere.

Export: Ja genau. Hinausgehen. Erweitern. Weggehen. Grenzen - ja, nicht überwinden, denn dann wären sie ja noch immer da. Sondern ich wollte Grenzen immer wieder weg-, hinauszuschieben, um das Territorium zu erweitern.

Standard: Wie war das bei Ihrer Namensfindung? Hat Sie die Zigarettenmarke dazu inspiriert?

Export: Nein. Ich wollte eine eigene Identität, einen eigenen Namen haben und nicht den meines Vaters oder meines geschiedenen Mannes. Export: Das bedeutet, hinauszugehen aus dem sicheren Hafen, diese Idee war zuerst, die Zigarettenpackung kam später. Ich habe mit ihr mein erstes Kunstobjekt gemacht, die Weltkugel auf dem Zigarettenpackerl durch mein Gesicht ersetzt und "Smart" durch meinen Namen. Durch diese Arbeit entstand der Eindruck, mein Name käme von der Zigarettenmarke. Es war genau umgekehrt: zuerst der Name, dann das Zigarettenpackerl.

Standard: Warum muss Ihr Künstlername VALIE EXPORT eigentlich in Versalien geschrieben werden?

Export: Es ist ein Markenname, ein Logo. Er ist auch so im Pass eingetragen und gesetzlich geschützt. Und außerdem steckt der Gedanke dahinter, dass Frauen ihre Namen großschreiben sollen, damit sie besser zu lesen, damit sie sichtbarer sind.

Standard: Apropos sichtbar: Was sagen Sie zur Diskussion über Verschleierung, Burkaverbot?

Export: Ich finde diese Diskussion sehr wichtig. Natürlich bin ich gegen die Burka, gegen das Verhüllen, gegen das Unsichtbarsein. Frauen müssen genauso öffentlich ihre Gesichter, ihre Identität und Gestik, ihr Gehabe zeigen können. Die Verschleierung ist eine Einschränkung. Eine Beschneidung

Standard: Wenn Sie auf Ihr Leben zurückblicken: Was bedauern Sie?

Export: Ich konnte vieles nicht realisieren, weil mir die finanziellen Mittel fehlten. Ich habe Stöße von Notizbüchern und Zeichnungen, die sich mit Projekten beschäftigen, die ich nicht verwirklichen konnte. Das tut mir leid. Aber ich würde es jetzt nicht mehr machen. Das ist abgeschlossen.

(Andrea Schurian, DER STANDARD/Printausgabe, 15./16.05.2010)