Infografik: Zusammensetzung der Transferleistungen über Dezile, Bruttoeinkommen versus verfügbares Einkommen

Grafik: STANDARD

Die Umverteilung in Österreich ist laut einer neuen IHS-Studie stärker ausgeprägt als zuletzt attestiert. 70 Prozent zahlen, 30 Prozent empfangen. Neben den Transfers wirken die Steuern ausgleichend.

Wien – Ist Österreich ein Land weniger Vermögender (die ihren Reichtum in steuerschonenden Stiftungen parken) und einer großen Masse unterer Einkommensschichten, die von der Gesellschaft vernachlässigt werden? Dieser bei Gewerkschaftern beliebten Darstellung wird vom Institut für Höhere Studien (IHS) widersprochen, das eine starke Umverteilung ortet, und zwar nicht nur bekanntermaßen über die Transferleistungen, sondern auch über das Abgabensystem.

So kommt die ärmere Hälfte der Bevölkerung auf 26 Prozent aller Bruttoeinkommen. Nach Steuern und Transferleistungen verbessert sich der Wert auf 32 Prozent. Das reichste Zehntel (Dezil) des Landes vereint zwar 26 Prozent aller österreichischen Verdienste auf sich, ihm bleiben aber "nur" 22 Prozent an verfügbarem Einkommen in der Tasche. IHS-Chef Bernhard Felderer betont im Gespräch mit dem Standard, dass die Progression des Steuersystems durch die Sozialversicherungsabgaben nicht aufgelöst werde. So steigt die Abgabenquote von 1,1 Prozent im untersten Dezil auf 28,4 Prozent beim reichsten Zehntel. Dabei sind die Pensionsbeiträge gar nicht eingerechnet, obwohl das System insbesondere über die Ausgleichszulage ebenfalls umverteilend wirkt. Die Abgaben sind inklusive Pensionssystem um durchschnittlich 7,4 Prozentpunkte höher.

Derzeit zählt Österreich zu den Staaten in Europa mit den geringsten Einkommensunterschieden, bestätigt Eurostat. "Würde die Umverteilung durch das Steuer-transfersystem nicht stattfinden, würden einzig Bulgarien, Portugal, Rumänien und Lettland über eine ungleichere Einkommensverteilung als Österreich verfügen" , heißt es in der Studie, die im Auftrag des Finanzministeriums durchgeführt wurde.

70 Prozent sind "Nettozahler"

Für den stärksten Ausgleich zwischen Arm und Reich sorgen die Transfers, wobei diese durchschnittlich 1308 Euro pro Person im Jahr ausmachen. 43 Prozent davon entfallen auf Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag, gefolgt von Arbeitslosengeld (30 Prozent) und Pflegegeld (zehn Prozent). Im untersten Einkommenszehntel betragen die Transfers fast das Dreifache des Durchschnitts und sinken im obersten Fünftel unter 600 Euro. Dass Besserverdiener überhaupt noch Zuwendungen des Staates erhalten, liegt an der Familienförderung, die großteils unabhängig vom Einkommen überwiesen wird.

Betrachtet man Transfers und Steuern kumuliert, zeigt sich, dass drei Zehntel der Österreicher mehr staatliche Leistungen in Anspruch nehmen, als sie an Abgaben einzahlen. Umgekehrt sind 70 Prozent "Nettozahler". Dem obersten Einkommenszehntel werden im Jahr 14.174 Euro abgezogen, ganze 592 Euro fließen über Transfers zurück. Im Durchschnitt fallen 1130 an Sozialversicherung und 2574 an Steuern an, ergibt auf ein 18.887 Euro ausmachendes Jahresbruttoeinkommen 3764 an Abgaben. Davon kommen 1308 Euro über Transferleistungen zurück. Und wo bleibt der große Rest? Der finanziert andere staatliche Aufgaben wie Schule und Polizei oder geht in Zinsendienst und Verwaltung auf.

"Die Umverteilung wirkt in Österreich stark" , schließt Felderer aus der Untersuchung. Bestätigt sieht sich der IHS-Leiter in seiner Ansicht, wonach Vermögenssteuern zur Korrektur allfälliger Ungerechtigkeit nicht angebracht seien. Umgekehrt glaubt Felderer – außer in Ausnahmefällen – nicht, dass die Umverteilung Leistungsanreize stark dämpfe. (Andreas Schnauder, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 15./16.5.2010)