Der Heilige Vater selbst ist jetzt zur Einsicht gelangt, dass die größten Gefahren für die katholische Kirche derzeit von innen kommen. Es nützt wenig, dass Papst Benedikt in seiner ersten Enzyklika erklärt hat, dass Gott die Liebe ist - wenn gleichzeitig publik wird, dass in seiner Kirche jahrzehntelang perverseste Formen der körperlichen Liebe und des sexuellen Missbrauchs geduldet und vertuscht wurden. Während natürliche Formen der Liebe unter erwachsenen Menschen unterdrückt wurden.

Missbrauch und Zölibat sind in der öffentlichen Wahrnehmung zu den Zentralfragen der Kirche geworden. Vom Tisch bringen kann man das nur, wenn man weltliche Gerechtigkeit sucht, wo Missbrauch vorgefallen ist.

Die Botschaft muss sein: Ja, es gibt Sünder in der Kirche - Buße zu tun ist selbstverständlich. Es geht aber auch darum, Strukturen zu schaffen, die künftige Sünder nicht auch noch anlocken: Wenn es für Männer mit pädophilen Neigungen oder verkrampften Machtgelüsten leicht ist, ihre Abartigkeit unter Vortäuschung einer zölibatären Lebensweise auszuleben, ergibt sich ein falscher Ausleseprozess für die wichtigen kirchlichen Ämter. Diese leiden an Nachwuchsmangel, man nimmt offenbar, wen man bekommt. Da ist die Frage schon berechtigt, ob nicht Männer (und warum nicht auch Frauen?) mit normalem Liebesleben die Botschaft der Liebe Gottes besser verkünden können. Jetzt wird darüber diskutiert, immerhin. (Conrad Seidl/DER STANDARD, Printausgabe, 15./16. Mai 2010)