Oder: Der Ökonom als Zauberlehrling. Das von den EU-Staaten beschlossene Euro-Rettungspaket ist eine Kampfansage an den Finanzkapitalismus - aber die neoliberalen Geister, die wir riefen, weden wir damit nicht los

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Immer mehr Akteure haben sich darauf spezialisiert, Geld "selbstreferenziell" zu vermehren wie die einschlägig bekannten Banken Goldman Sachs, JPMorgan, Deutsche Bank und viele Hedgefonds. Die "Finanzalchemisten" spekulieren mit Aktien, Devisen, Rohstoffen, und in letzter Zeit auch vermehrt mit Staatsanleihen.

Dabei werden immer Derivate verwendet, also "Wettscheine" auf die Richtung einer Preisbewegung. Habe ich etwa einen "credit default swap" (CDS) bezogen auf griechische Staatsanleihen gekauft, dann gewinne ich, wenn der Verdacht sich verstärkt, dass Griechenland pleite geht. Diese Wahrscheinlichkeit nimmt wiederum zu, je mehr darauf gewettet wird: Der Zins, den Griechenland berappen soll, steigt und steigt.

Solche "Rückkoppelungen" sind ganz normal. Als nach Ausbruch der US-Hypothekarkrise die "Finanzalchemisten" auf höhere Rohstoffpreise spekulierten, verdoppelten sich der Ölpreis, aber auch die Preise sämtlicher Nahrungsmittel. Die Mainstream-Ökonomen liefern nachträglich Erklärungen mit Verschiebungen von Angebot und Nachfrage (die Inder essen mehr Reis tc.): Destabilisierende und profitable Spekulation kann/darf es laut Prof. Palmström (vgl. Christian Morgensterns Galgenlieder) nicht geben.

Den Bogen überspannt

Massiv verstärkt werden die Rückkoppelungen durch "Systemspieler" , welche computergesteuerte Handelssysteme verwenden ("algo(rithm) trading" , Weiterentwicklung der "technischen Analyse" ). Diese folgen Trends und verstärken sie dadurch. Über einen längeren Zeitraum bilden sich so "bull markets" und "bear markets" , ihre Abfolge ergibt die für Wechselkurse, Rohstoffpreise und Aktienkurse typischen, "manisch-depressiven" Zyklen.

Obwohl die Akteure auf den Finanzmärkten in diesen Kategorien denken, ignorieren die Mainstream-Ökonomen dieses Phänomen: Hätte das "Overshooting" der wichtigsten Preise in der Weltwirtschaft systemischen Charakter, dann müsste das gesamte (neoliberale) Weltbild entsorgt werden, 40 Jahre Restaurierungsarbeit wäre umsonst (nicht ganz, dazwischen wurde ordentlich umverteilt).

Da hält man sich lieber an Palmstöm, doch auch dies hat seinen Preis. In der Not der großen Krise merken die Politiker: Die Wissenschaft hat keine Antwort auf die Frage: Wie mit den "freiesten" Märkten umgehen? Gleichzeitig richten die Finanzmärkte immer mehr an. Doch die Ökonomen empfehlen die alten Rezepte (nach kurzer Schockphase): Staatsausgaben kürzen, Privatisieren, keine neuen Steuerbelastungen, schon gar nicht für die "Leistungsträger" , auch keine Finanztransaktionssteuer etc.

Indem die "Finanzalchemisten" die Zinsen für griechische Anleihen auf 15 Prozent (!) trieben und die EU-Rettung erzwangen, haben sie (vielleicht) den Bogen überspannt. Dazu drei Indikatoren:

  1. Es erhebt sich der Verdacht, die freiesten Märkte könnten genau jene Risken produzieren, gegen die sie Versicherungen anbieten - und an beidem verdienen.
  2. Indem die "Finanzalchemisten" auf Staatsbankrott wetten, legen sie sich direkt mit der Politik an.
  3. Die wissenschaftlichen Legitimatoren der freien Finanzmärkte, die konventionellen Ökonomen, verlieren an Einfluss in der Politik, sie haben ihr nichts Nützliches zu sagen.

Nach Phase zwei ("Wir machen weiter wie vorher" ) ist die Krise somit in Phase drei eingetreten ("Heulen und Zähneknirschen" ): Der Finanzkapitalismus lässt sich nicht restaurieren, entweder dieses System geht bankrott oder das europäische Sozialmodell samt dem Euro.

Die Politiker spüren das. Als die "Staatsheuschrecken" mit der Behandlung von Portugal und Spanien beginnen wollten, wurde der Währungsfonds in Höhe von 750 Mrd. € beschlossen (blitzartig einigten sich alle 27 EU-Länder!). Damit senden die Politik den "Alchemisten" das Signal: Wir habe Munition, um gegen euch zu kämpfen, und zwar durch Kauf von Staatsanleihen eurer Opfer! Das implizite Signal lautet: Wir spielen mit, wenn auch gegen euch! Das ist ein Fehler. Dieses Spiel an sich muss beendet werden, und zwar so:

  • EU, EZB und der (künftige) Europäische Währungsfonds (EWF) geben eine Garantie für die Staatsschuld sämtlicher Euroländer ab. Damit gibt es keinen Grund für Risikoprämien.
  • EU, EZB und EWF legen einheitliche Zinsniveaus für die neu emittierten (echten) Euro-Bonds fest und zwar auf dem Niveau von Triple-A-Schuldnern (derzeit etwa vier Prozent).
  • Das Spiel mit den Staatsbankrotten ist dann aus, die Heuschrecken ziehen weiter.
  • Die Euro-Bonds werden vermutlich überzeichnet sein. Es wird ja sichere Veranlagung gesucht, und diese kann die Staatengemeinschaft bieten - auch und gerade im Vergleich zu den USA.
  • Sollten dennoch nicht alle Emissionen einen Abnehmer finden, übernimmt sie der EWF.
  • Dies erfordert eine nachhaltige Konsolidierung, koordiniert und überwacht vom EWF.

Die Finanzierung des Staates durch die Notenbank entspricht der US-Strategie, sie ist in einer schweren Krise klug, sie kostet den Steuerzahler keinen Cent und sie wirkt nicht inflationär, weil viel Produktionskapazität brach liegt.

Die Festlegung des Anleihenzinses ist durch die CDS-Spiele der "Staatsheuschrecken" gerechtfertigt. Schließlich werden ja auch der Leitzins und damit indirekt der Kreditzins durch die Zentralbank gesetzt.

Für neoliberale Ökonomen bedeutet mein Vorschlag "Voodoo-Ökonomie" : staatliche Lenkung statt "unsichtbarer Hand" ! Indes: Solange Zinssatz und Wechselkurs gelenkt wurden, expandierte die Wirtschaft krisenfrei. Seit Anfang der 1970er-Jahre haben die Neoliberalen die Finanzmärkte schrittweise entfesselt, und die Geister, die sie riefen, werden wir nun nicht los. Oder nur mit großen Opfern - aufseiten der Zauberlehrlinge freilich nicht.

PS: Johann Wolfgang Schulmeister an die Alchemisten:

Handle, handle, liebe Zecke,

dass zum Zwecke Money fließe,

und mit reichem, vollen Schwalle

in meine Kassa sich ergieße.

(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 15./16.5.2010)