"Der Fall Luca ist ein Musterbeispiel an politischem Zynismus: Wenn etwas passiert gibt es einen Aufschrei, aber dann geht nichts weiter", kritisiert Kinder- und Jugendpsychiater Ernst Berger. Denn der gewaltsame Tod des 17 Monate alten Bubens durch seinen Stiefvater im November 2007 war Anlass, in Arbeitsgruppen über ein neues Kinder- und Jugendhilfegesetz zu beraten. Verschiedene Bundesländer, aber auch Finanzministerium und Rechnungshof, lehnten den Entwurf aufgrund der finanziellen Mehrbelastung ab, sagen die Grünen.

"Seither wird der Entwurf zwischen Bundesländern und Bundesministerium hin- und her gespielt, befindet sich zum wiederholten Male in der Begutachtung. ExpertInnen wurden nicht mehr eingebunden", sagt Daniela Musiol, Familien- und Verfassungssprecherin der Grünen. Das Motto seitens der Länder sei offensichtlich, so die Grüne: "Alles was kostet, muss raus aus dem Gesetz." Der Fall Luca verdeutliche aber die Dringlichkeit einer Überarbeitung des Jugendwohlfahrtsgesetzes, sagt Musiol. Denn sein Tod habe gezeigt, wie die Kooperation zwischen Krankenhaus und Jugendamt versagen kann. Zwar gab es Verdacht auf Misshandlungen, das Kleinkind blieb dennoch beim gewalttätigen Lebensgefährten der Mutter, an dessen Misshandlungen er starb.

Kinderpsychiater: Wichtige Punkte fehlen im Entwurf

Seit Jahren fordern ExpertInnen mehr finanzielle und personelle Ressourcen. Kinderpsychiater Berger kritisiert jedoch auch, dass viele Ergebnisse der Beratung im Gesetzesentwurf keinen Niederschlag gefunden haben: "Es fehlen Personal- und Arbeitsvorgaben und Standards für Kooperationen zwischen den Einrichtungen."

Grüne: Kontrolle durch das Parlament

Die Grünen fordern daher eine Jugendwohlfahrtsbeauftragte, eine Art Volksanwältin für Kinder, um eine bessere Überprüfung der Behörden zu gewährleisten. "Der Gedanke ist zu evaluieren, wie es in den Ländern mit finanziellen Mitteln und personeller Betreuung wirklich aussieht", erklärt Tanja Windbüchler-Souschill, Kinder- und Jugendsprecherin der Grünen. Einmal im Jahr solle es eine öffentliche Berichterstattung im Parlament geben, das dadurch ein Mittel zur Kontrolle hätte. Ziel sei, so die Grüne, einheitliche Standards bei Ausbildung und Betreuung zu schaffen.

Jugendwohlfahrt: Vier Augen statt Alleinentscheidung

Zudem sollte laut Windbüchler-Souschill diskutiert werden, wer in der Jugendwohlfahrt arbeiten dürfe, Qualitätsstandards sollten in einem bundesweiten Gesetz fest gemacht werden. Für den Kinderpsychiater sind nur diplomierte Sozialarbeiter oder Sozialpädagogen qualifiziert, Menschen mit "niedrigerem Ausbildungslevel sind für uns indiskutabel".

Ein wichtiger Punkt sei außerdem das "Vier-Augen-Prinzip", schildert Berger: "In einer Situation, in der "Gefahr in Verzug", also eine Bedrohung für das Leben eines Kindes besteht, müssen Fachleute schnelle Maßnahmen treffen. "Mit so einer gravierenden Entscheidung kann eine Person alleine überfordert sein. Daher sollte sie von zwei Personen gemeinsam getroffen werden", sagt Berger. Im Entwurf stehe jedoch nur eine "Kann-Bestimmung". Der Experte befürchtet, dass die Länder im Zweifelsfall die günstigere Variante, also nur einen Mitarbeiter zu bezahlen, vorziehen würden.

Eltern-Selbsthilfegruppen: Übervorsichtige Entscheidungen

Ein gut ausgearbeiteter Personal- und Betreuungsschlüssel schütze aber nicht nur Kinder und Jugendliche, sondern auch Fachkräfte: Denn im Fall Luca wurde schließlich auch eine Sozialarbeiterin verurteilt. "Nicht nur seither ist es für die Sozialarbeiter wichtig zu überlegen, wie sie sich selbst bei einer etwaigen Fehlentscheidung schützen können", sagt Berger. Denn Jugendämter werden immer öfter von Eltern-Selbsthilfegruppen kritisiert, denn sie würden Kinder zu Unrecht oder voreilig von den Familien trennen.

Jüngstes Beispiel ist der siebenjährige Victor aus Wien, wie das Ö1 Morgenjournal berichtet. Nach dem Vorwurf des angeblichen sexuellen Missbrauchs darf der Bub weder bei seinem Vater noch bei seiner Mutter leben. Zunächst wurde der Mutter die Obsorge übertragen, nach einem Streit mit dem Jugendamt, wo Victor zur Schule bzw. in den Hort gehen solle, lebt er nun seit acht Monaten abwechselnd in Heimen oder Wohngemeinschaften. Die Mutter darf ihn nun am Wochenende, zwei Stunden und unter Anwesenheit einer Betreuerin, besuchen. Die Kritik am Erziehungsstil der Mutter: Sie behandle ihren Sohn wie einen Erwachsenen. (jus, derStandard.at, 17. Mai 2010)