Das Netzwerk Dynamo erweitert Handlungsspielräume für junge MigrantInnen.

Foto: Jobst

"Das Bildungssystem in Österreich ist leider derart rigoros, dass auf Unterbrechungen von Bildungskarrieren durch Flucht oder andere Gründe keine Rücksicht genommen wird." Das ist nur ein Aspekt, der Martin Wurzenrainer vom Integrationshaus bedenklich stimmt. "Es ist praktisch unmöglich, ohne einen formellen Abschluss (zum Beispiel Hauptschulabschluss) Arbeit oder - was bei den Jugendlichen viel wichtiger ist, einen Ausbildungsplatz zu bekommen."

Muttersprachliche Beratung

Integration ist mit dem Absolvieren eines Sprachkurses nicht getan. Auch mit guten Deutschkenntnissen ist es nicht einfach, sich durch das Was, Warum und Wie des österreichischen Bildungssystems zu schlagen. Die meisten Jugendlichen erfahren schnell über Mundpropaganda, dass es Einrichtungen gibt, an die sie sich mit ihren Fragen wenden können und die sie gegebenenfalls auch in ihrer Muttersprache beraten können.

Basisqualifikationen

Im Projekt "Dynamo" werden mit Hilfe von Kursen und Lehrgängen, individueller Bildungsberatung und sozialarbeiterischer Begleitung Basisqualifikationen und Wege zu Bildungsabschlüssen vermittelt. Das Netzwerk, bestehend aus Projekten der Volkshochschulen des 15. und 16. Bezirks sowie des Integrationshauses, unterstützt Jugendliche aktiv dabei, sich in das Bildungssystem und den Arbeitsmarkt zu integrieren. Zudem geht es auch darum, die österreichische Aufnahmegesellschaft über die Lebenssituation und Kompetenzen, aber auch die Schwierigkeiten der jungen MigrantInnen zu sensibilisieren.

Hohe Motivation

Die Kurse zur Vorbereitung auf Hauptschulabschlüsse und Berufsreifeprüfungen, die Sprachförderung Deutsch als Zweitsprache oder auch die individuelle Lernbegleitung sind immer ausgebucht. "Hundert Prozent unserer TeilnehmerInnen kommen aus Eigenmotivation. Im Schnitt stehen rund 60 Anmeldungen 16 Kursplätze gegenüber," so Wurzenrainer. Auch bei JUBIZ und ISIS, den beiden Teilprojekten der Wiener Volkshochschulen, muss nicht erst um die Initiative der Jugendlichen gekämpft werden.

Unsichtbare Kompetenzen

"Die, die erst sehr kurz in Österreich sind, haben große Erwartungshaltungen und sehr viel Motivation," weiß Karin Bittner vom JUBIZ an der Volkshochschule Ottakring. "Wir schauen uns die Kompetenzen und formalen Qualifikationen an, die die Jugendlichen mitbringen und beraten sie, was sie damit machen können. Dann machen wir gemeinsam mit ihnen auch ihre informellen Qualifikationen sichtbar. Oft ist ihnen zum Beispiel gar nicht bewusst, wieviele Sprachen sie können." Schließlich "übersetzen" die JUBIZ-BeraterInnen das, was die Jugendlichen an bislang unsichtbaren Kompetenzen mitbringen in eine Sprache, die auch von Arbeitgebern verstanden wird.

Kompetenz und Autonomie

"Ein wesentlicher Punkt ist, dass wir sehr offen sind und die Welt, aus der die Jugendlichen kommen, mitdenken und wertschätzen," so Bittner zu der speziell auf ihre Zielgruppe abgestimmte Bildungsberatung. Auch Eva Schröder von der Volkshochschule Rudolfsheim-Fünfhaus betont, dass man auf Jugendliche speziell eingehen muss. Im Lernbegleitungsprojekt ISIS möchte man "durch Strategien und Maßnahmen, die den Jugendlichen speziell im Thema 'Lernen lernen' die nötige Kompetenz und Autonomie vermitteln, die sie für einen erfolgreichen Bildungsweg benötigen."

Ausbildung dem Alter entsprechend

Für viele junge MigrantInnen ist es nicht möglich, ihre unterbrochene Ausbildung in einer Schule mit Gleichaltrigen fortzusetzen. "Jugendliche, die bei ihrer Ankunft in Österreich das schulpflichtige Alter bereits überschritten haben, sind eigentlich ausschließlich auf den zweiten Bildungsweg angewiesen," beklagt Wurzenrainer. "Diese Angebote laufen aber im Bereich der Erwachsenenbildung und somit findet eine altersadäquate Sozialisation nur bedingt statt." Um den Jugendlichen dennoch zu ermöglichen, das "normale schulische Leben" Gleichaltriger kennen zu lernen, unternimmt das Integrationshaus regelmäßig "Interkultur-Tandems".

Drop-Out-Rate verringern

Das österreichische Bildungssystem hat in den letzten Jahren verabsäumt, Ressourcen wie sprachliche und kulturelle Vielfalt zu nutzen. Die Förderung der mitgebrachten Erstsprachen wurde nur in wenigen "Projektschulen" durchgeführt, obwohl gerade die Ausbildung der Erstsprache für die Entwicklung von Deutsch als Zweitsprache förderlich wäre, so Wurzenrainer. Auch Schröder ist überzeugt: "Die fundierte Vermittlung der Erstsprachen fehlt von Beginn an. Unterschiedliche Voraussetzungen, Kenntnisse und Fähigkeiten werden nicht wahrgenommen, unter anderem auch wegen Lücken im Ausbildungssystem der Lehrer." Gerade die Sensibilisierungsarbeit für LehrerInnen ist wichtig, um die hohe Drop-Out-Rate der Jugendlichen zu verringern. (Jasmin Al-Kattib/daStandard.at/17.5.2010)