Ruth Kaaserer dokumentiert die Nutzung der "Community Gardens" in New York, die in den 1970ern mit dem Werfen von "Seedballs" in der Lower East Side begannen.

Foto: Kaaserer

Salzburg - Gegen den gefürchteten "Bad Hair" -Day können sie ebenso gerichtet sein wie gegen zu teures Bier. Gute Gründe für Beschwerden geben auch das Abholzen von alten Wäldern für die Toilettenpapierproduktion, der spechtelnde Nachbar oder die hundertste Shopping-Hölle ab.

Die Energie, die Menschen in ihre Klagen stecken, in etwas Neues, Kraftvolles umzuwandeln, ist die Idee hinter dem Projekt der Beschwerdechöre. Seit das deutsch-finnische Künstlerpaar Tellervo Kalleinen / Oliver Kochta-Kalleinen 2005 in Birmingham Leute per Inserat dazu aufgerufen hat, ihren Unmut singend zu formulieren, haben sich von Seattle über St. Pölten bis nach Hongkong über 20 Beschwerdechöre gegründet. Und selbstverständlich haben sich auch die als ewige Raunzer bekannten Wiener (organisiert von Künstler Oliver Hangl)dem partizipativen Projekt angeschlossen, das es "als Kollateralschaden gerne in Kauf nimmt, wenn ein paar der Dauernörgler eine etwas selbstironische Distanz zur Beschwerde gewinnen."

In der gelungenen Ausstellung Partizipation. Politik der Gemeinschaft im Salzburger Kunstverein erschließen Videos den ansteckenden Charme dieser bewegenden, musikalischen Initiative. Ein Projekt, das nicht zwischen scheinbar Gewichtigem und Nichtigem unterscheidet: Die Klage "Ich habe zu viel Zeit!" weise laut Initiatoren etwa auf wesentliche Defekte der neoliberalen Gesellschaft hin, die für viele Menschen keine Verwendung mehr hat.

Dass das Private also gleichzeitig sehr politisch sein kann, darauf weisen auch andere, per Video dokumentierte Projekte hin: Etwa Sharon Hayes I Didn't Know I Loved You, realisiert 2009 auf der Biennale Istanbul: Briefe an verflossene Lieben ließ sie in Form einer öffentlichen Kundgebung auf einer belebten Einkaufsstraße vortragen. Eine Verschiebung der Form, die die politische Dimension im Akt der Rede vor Augen führt.

In einen sehr intimen Bereich drangen die israelischen Künstlerinnen Ruti Selar und Maayan Amri vor: Für Beyond Guilt (2004) luden sie Männer auf Dating-Webseiten zu "Sadomaso" -Spielen und Gesprächen in ein Hotelzimmer, wobei die Rollen von "Dom" und "Sub" nur abstrakt in Form von Filmenden und Gefilmten Entsprechung fanden: Gemeinsam war den Konversationen ihres "Experiments" die Verknüpfung von sexuellen Vorlieben, Gewaltthematik und Militär, was die Künstlerinnen zur etwas heiklen Aussage bewegte, es sei in Israel unmöglich, eine Diskussion über Sex zu führen, ohne ebenfalls den Militärdienst zu erwähnen.

Kollektives Erinnern

Die zweifelsfrei mutige Arbeit von Selar und Amri stellt durch Zugang und Schlussfolgerung allerdings auch die Frage nach den Methoden dieser partizipativen Kunstpraxis: Welche Selektions- und Steuerungsmechanismen bauen Künstlerinnen ein, um zum erwünschten Ergebnis zu kommen? Aspekte der Autorschaft und die Rolle der Mitwirkenden kommen in den kommunikativen, Gruppen einbindenden Projekten von Christine und Irene Hohenbüchler zum Tragen, und Fragen der Handlungsspielräume begleiten etwa die Arbeit von Turner-Preisträger Jeremy Deller.

Seine fesselnde Filmarbeit Battle of Orgreave (2004) kombiniert das Re-Enactment des unter Thatcher 1984 blutig niedergeschlagenen Minenarbeiterstreiks mit dokumentarischen Interviewteilen. Deller:"Es geht nicht darum, Wunden zu heilen, das vermag ein Kunstprojekt nicht." Vielmehr gehe es um die Erinnerung an ein Ereignis über das öffentlich geschwiegen wurde und für das sich die beteiligten Arbeiter nicht schämen müssen. (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD/Printausgabe, 18.05.2010)