Wenn das Leben für immer Pause macht: Lettische Schauspieler mimen semiprofessionelle Friedhofsmusiker.

Foto: Wimmer

Wien - In der kleinen baltischen Republik Lettland wird nicht anders gestorben als woanders: vielleicht sehnsüchtiger, zugleich ein bisschen wehmütiger als in anderen, sich zentraler dünkenden Gegenden. Die Kunst der Bestattung erzählt bekanntlich viel über die Kultur der Lebenden. Nur wer seine Toten zu ehren versteht, wird das Leben anständig bewältigen.

Die Festwochen-Produktion Kapusvetki - Friedhofsfest des Jaunias Rigas Teatris (Regie: Alvis Hermanis) liefert schon einmal die dringend benötigten Hospizdienste. Dreizehn als Friedhofsmusiker verkleidete Schauspieler, die sich mit beachtlicher Kunstfertigkeit an diversen Blechblasinstrumenten zu schaffen machen, erzählen im Wiener Akzent-Theater reihum vom Alltag auf den lettischen Gottesäckern.

Nichts an dieser gähnend langweiligen Revue atmet auch nur im Entferntesten das Feuer einer ordentlichen Einäscherung. Wohl weil dem ruhelos beschäftigten Hermanis die Muße zur Abfassung eines Skripts gefehlt hat, werfen sich die schwarz gekleideten Blasmusiksitzer gegenseitig Anekdötchen an die Köpfe: Ersatzdienstleister beiderlei Geschlechts beim Zeittotschlagen.

"Weißt du noch, wie mir irgendwelche Fratzen die Trompete (,die Kanne‘) verstopft hatten, sodass ich keinen vernünftigen Ton ...?" Dabei wäre die Konfrontation des bis 1989 von oben verordneten Staatsatheismus mit den Proben einer vielfach heidnisch verwurzelten "Volksfrömmigkeit" von größtem Interesse gewesen.

Das lettische Friedhofsfest ersetzt den Balten den Mechanismus der Familienaufstellung. In den kulinarisch wie alkoholisch aufbereiteten Wiederbegegnungen an den Gräbern jüngst Verstorbener wird sozialer Zusammenhalt organisiert. Schwerfällig näselt die Tuba, ohrenbetäubend klagen die Hörner; auch der Eroica-Trauermarsch ist vor diesen semiprofessionellen Gemütsschmeichlern nicht sicher.

Anekdoten nach Noten

Während man sich unter Zuhilfenahme einer deutschen Simultanübersetzung an den einschlägigen Sottisen und Gebräuchen zu erfreuen versucht, ergießt sich eine wahre Flut von Schwarzweiß-Dias über den Prospekt der Bühne. Martins Grauds Fotoserien illustrieren die Funktion des Friedhofs als Marktplatz: als Zwischenraum und Feierstätte - als Residuum vor dem unbewältigten Alltag, als Rückzugsort vor dem völligen Verschwinden.

Einbegleitet wurde der zähe Nekrolog durch einen Blick auf den Wiener Zentralfriedhof: Der lettische Erzähler, ein freundlicher, rundlicher Mann, rekapitulierte sogleich, dass der "Tod ein Wiener" sei. Letztlich sind es aber nur die Klischees, die Aussicht auf Ewigkeit genießen. (Ronald Pohl, DER STANDARD/Printausgabe, 18.05.2010)