Das europäische Hilfspaket für den griechischen Staatshaushalt im Lichte der Rüstungspolitik: Die EU-Staaten leihen dem EU- und Nato-Mitglied Griechenland Geld zur Aufrüstung gegen den Nato-Staat und EU-Beitrittskandidaten Türkei. 

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Griechische und türkische Kampfpiloten sind die letzten Kalten Krieger Europas. Regelmäßig liefern sie sich erbitterte Schaukämpfe über der Ägäis. Doch erstmals seit langem gibt es eine reelle Chance, diesen Konfrontationskurs zu beenden.

Das Treffen der türkischen und griechischen Spitzenpolitiker am vergangenen Freitag in Athen könnte tatsächlich der Start für ein politisches Tauwetter in diesem gefrorenen Konflikt - inklusive Zypern - sein.

Der türkische Premier Recep Tayyip Erdogan hat den Zeitpunkt für diesen Besuch beim "verfreundeten" Nachbarn und das Angebot eines beiderseitigen Abbaus der Militärhaushalte perfekt gewählt. Ohne Geld kein Säbelrasseln - es gibt derzeit kein besseres Argument für einen Versöhnungsprozess. In welchen Dimensionen sich dieser Abbau bewegen wird, bleibt abzuwarten. Bis dato gilt: Griechenland ist das EU-Land, das die Friedensdividende seit Ende des Kalten Kriegs am wenigsten nützt. Laut einer Statistik des EU-Instituts for Security Studies (ISS) wurde das Militärbudget der EU-27-Staaten zwischen 1999 und 2009 um ca. 20 Prozent reduziert. Doch Griechenland schert aus.

Friedensdividende ...

Während sich andere EU-Staaten mit einem bis eineinhalb Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Militärausgaben begnügen (Österreich 0,9), hat Griechenland in den letzten Jahren gut vier Prozent des BIPs für seine Aufrüstung verwendet. Damit gehört Griechenland nach einer Studie des schwedischen Friedensforschungsinstitutes Sipri zu den fünf größten Rüstungsimporteuren weltweit.

Die EU-27 haben in den letzten zehn Jahren ihre Kampfjet- und Kampfhelikopter-Bestände um jeweils 37 Prozent sowie die Zahl ihrer Fregattenverbände um 30 Prozent reduziert. Und Griechenland? Noch in den letzten Monaten, als die griechische Budgetkrise schon offensichtlich war, kaufte Athen sechs Fregatten für 2,5 Milliarden Euro, Helikopter für 400 Millionen Euro, etliche Kampfflugzeuge und sechs U-Boote im Wert von einer Milliarde Euro. "Wir leihen also den Griechen Gelder, damit sie unsere Rüstungsgüter kaufen", kommentierte mein Fraktionskollege im EU-Parlament, Daniel Cohn-Bendit, diesen Skandal.

Die Hauptnutznießer dieses griechischen Aufrüstungswahns sind Frankreich und Deutschland. Laut dem Stockholmer Sipri-Institut kamen zwischen 2004 und 2008 fast ein Drittel aller griechischen Waffenimporte aus Deutschland und nahezu ein Viertel aus Frankreich. Griechenland ist nach der Türkei das zweitwichtigste Abnehmerland für deutsche Waffensysteme. - Damit kommt zu dieser völlig in die falsche Richtung laufenden Rüstungsspirale noch eine groteske Drehung hinzu: Die EU-Staaten leihen dem EU- und Nato-Staat Griechenland Geld, damit dieser Waffensysteme von den EU- und Nato-Mitgliedern Deutschland und Frankreich kaufen und sich so gegen den Nato-Verbündeten Türkei, mit dem die EU Beitrittsverhandlungen führt, aufrüsten kann.

... statt Rüstungsschulden

Der griechische Premier Papandreou hat Cohn-Bendit darauf hingewiesen, dass Deutschland wie Frankreich weiterhin auf die Erfüllung der in den letzten Monaten verhandelten Waffendeals bestehen. Auch wenn die betroffenen Ministerien von Paris bis Athen dementieren - es ist schon bisher eine besonders missverstandene Form europäischer Solidarität gewesen, Griechenland einerseits seit Jahren als Budget-Schmuddelkind zu schmähen, andererseits aber als willkommenen Abnehmer für milliardenteure Waffenarsenale zu nutzen. Eine gemeinsame EU-Wirtschaftspolitik müsste nicht zuletzt da ansetzen und heutige Allianzen zwischen einer Militärindustrie von gestern mit einer Rüstungspolitik von vorgestern verhindern.

Der türkische Premier Erdogan hat nämlich recht, wenn er sagt: "Wir sollten das Geld für andere Zwecke ausgeben!" Für sinnvolle andere Zwecke - wir haben in Europa zu viele davon, für die derzeit das Geld fehlt. (Ulrike Lunacek, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 18.5.2010)