So kalt wie beim Besuch von Stararchitekt Laurie Olin...

Foto: Institut Slavonice

...ist es rund um Slavonice auch atmosphärisch nicht mehr – für Südfrüchte freilich immer noch zu kühl. Fotos: Institut Slavonice, Newald

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Konzepte dazu erarbeiten US-Studenten.

Slavonice – Obstplantagen mit Südfrüchten statt Grenzschlagbäumen und Zollhäusern? Dieser Vorschlag sorgte dann doch für ein eher erstauntes Raunen im Publikum angesichts des rauen Klimas in einer Region, die nicht ohne Grund "tschechisches Kanada" genannt wird. Die meisten Ideen fanden aber Anklang unter der buntgemischten Zuhörerschaft, die sich in der tschechischen Kleinstadt Slavonice (Zlabings) versammelt hatte, um der Abschlusspräsentation von Studenten der Fakultät für Landschaftsplanung an der US-amerikanischen Universität Pennsylvania zu lauschen.

Das idyllische Kleinstädtchen an der österreichischen Grenze gilt mit seinem Renaissance-Ensemble nicht nur in Tschechien-Reiseführern schon seit längerem als Geheimtipp. In der Grenzstadt haben auch die historischen Wegkreuzungen des 20. Jahrhunderts tiefe Spuren hinterlassen. Bis 1945 war sie überwiegend von deutschsprachigen Südmährern besiedelt.

Als Adolf Hitler diese 1938 wie die übrigen Sudetendeutschen "heimholte" , ließ er sich am hiesigen Stadtplatz feiern. Die starke jüdische Gemeinde flüchtete in die "Rest-Tschechoslowakei" , entkam der Verfolgung damit aber nur um ein halbes Jahr.

Heute erinnert eine Gedenktafel an der zum Zinshaus umgebauten ehemaligen Synagoge an ihre einstige Präsenz. 1945 wurden die deutschen Bewohner dann nach Österreich vertrieben. Als schließlich auch noch der Eiserne Vorhang an der Staatsgrenze errichtet wurde, versank das Städtchen im Dornröschenschlaf, aus dem es erst Anfang der 1990er-Jahre gerissen wurde. Künstler des legendären Divadlo Sklep und aus halb Europa heimgekehrte tschechische Emigranten erkoren die etwa zwei Autostunden von Prag und Wien entfernte Stadt zum Rückzugsgebiet, bewirkten durch ihre Präsenz aber auch, dass Slavonice mittlerweile im Sommer zum Szenetreff mutiert.

Urban und intim

Entdeckt hat das Städtchen auch Alexander Stipsitz (40). Er ist einer der wenigen Österreicher, die nicht nur zu einem Tagesausflug herkommen, sondern gleich ganz übersiedelt sind. Stipsitz war im benachbarten Waldviertel als Kulturmanager tätig, fühlt sich jedoch in der zwar urbanen, aber dennoch intimen Atmosphäre des Kleinstädtchens irgendwie besser aufgehoben. Den Kontakt zum Künstler- und Investorenpaar John und Pamela Lifton-Zoline stellte er während ausgedehnter USA-Aufenthalte her.

Pams Vater Joe Zoline hatte Telluride in Colorado in den 1970er-Jahren von einer Goldgräberstadt zur amerikanischen Ski- und Hippiemetropole umgemodelt. Gemeinsam erkoren sie Slavonice zum Schwerpunkt ihrer Europa-Aktivitäten. Die Stadt erinnert mit ihrem verblichenen Glanz sowie ihrer Glorie aus alten Zeiten und der aktuellen Dichte an Kultur und Festivals inmitten fast unberührter Natur irgendwie an Telluride.

Mit ausreichendem Startkapital ausgestattet, erwarb die Investorengruppe von der Gemeinde das ehemalige Schulgebäude am Hauptplatz und baute es seit 2006 unter dem Titel Institut Slavonice zum internationalen Schulungs- und Kongresszentrum um. Stipsits ist froh, hier jenen Freiraum gefunden zu haben, in dem er seine Visionen umsetzten kann. Mit der Stiftung Centre for the future" versucht er sich im multidisziplinären Ansatz der "grünen Diplomatie an der Wiederherstellung der landschaftlichen und kulturellen Vielfalt im Bereich des ehemaligen Eisernen Vorhangs. Dazu sollen Akademiker und Politiker gezielt zusammengespannt werden. Das Zentrum ist Bestandteil des transeuropäischen Projektes Europäischer Grüngürtel, der sich entlang der ehemaligen Sperrzone quer durch den Kontinent zieht.

"Anfangs wurden wir noch belächelt oder skeptisch beäugt. Wer hier sein ganzes Leben verbrachte, sieht oft gar nicht, welches Potenzial in der Stadt steckt." Mittlerweile wüssten aber auch die Stadtbewohner den Nutzen zu schätzen, meint Stipsitz. Nicht zuletzt auch deshalb, weil man für Belebung in den touristisch mageren Nebensaison sorgt.

Zentraler Teil des Jahresprogrammes ist der Aufenthalt angehender Landschaftsplaner aus allen Teilen der Welt. Spiritus Rector der etwa 30-köpfigen Gruppe ist der preisgekrönte US-Stararchitekt und Planer Laurie Olin, der Projekte quer über den Erdball umsetzt. Jetzt will er zur Realisierung der Vision von der "Oase der Nachhaltigkeit" beitragen und beauftragt seine Studenten mit der Verfassung von Abschlussarbeiten zur Entwicklung der ehemaligen Todeszone zur ökologischen Vorzeigeregion. Dem mehrmonatigen "Trockentraining" an ihrer Heimatuniversität folgt der Aufenthalt in Slavonice, wo sie Verstärkung von der Technischen Universität Prag sowie aus Philadelphia und Arizona bekommen.

Wo einst ehrerbietige Bürgerschullehrer unter Franz-Joseph-Porträts unterrichteten und später regimetreue "Werktätige" an der Außengrenze zum "Klassenfeind" herangezogen werden sollten, tönt es heute in einem Sprachenwirrwar aus Englisch, Tschechisch und auch wieder ein wenig Deutsch durch die Schulgänge. Und wenn aus klimatischen Gründen auch keine Südfrüchteplantagen entstehen, so besteht doch Hoffnung auf landschaftliche und geistige Revitalisierung im Dreiländereck zwischen Böhmen, Mähren und Österreich. (Niklas Perzi/DER STANDARD, Printausgabe, 18.5.2010)