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Radan Lukic (re) bei einem Kickerl mit seinen Trainerkollegen Eric Orie und Norbert Barisits...

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...und als Einweiser auf der Bank von Vorwärts Steyr.

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Wie sind Sie zum Fußball gekommen?

Radan Lukic: Aufgewachsen bin ich in einer kleinen Ortschaft in der Nähe von Sarajevo. Ich hatte eine ganz normale Kindheit. Gleich nach der Schule haben wir die Schultasche in die Ecke gestellt und sind hinausgegangen um Fußball zu spielen bis uns die Mutter hineingerufen hat. Wir hatten zwar nicht viel, aber doch alles was nötig war und ich glaube wir hatten eine schönere Zeit als es Jugendliche jetzt oft erleben.

Ich habe das Gymnasium gemacht und dann vier Jahre lang Soziologie studiert. Ich habe mein Studium dann leider unterbrochen, meine Frau meint noch heute ich hätte das einmal nachholen können. Dann bin ich nach Österreich gekommen.

Wann sind Sie dann aus Ihrem Heimatort nach Sarajevo gegangen?

Lukic: Damals gab es noch keine U8 oder U9, wir haben immer frei Fußball gespielt und ich bin erst mit 14 Jahren zum Verein gekommen. Ich habe nach wie vor bei meinen Eltern gewohnt und bin täglich 30 km mit dem Bus zum Studium gefahren und wieder retour.

Bei welchem Verein haben Sie begonnen?

Lukic: Mit 18 Jahren habe ich beim NK Bosna gespielt, dieser Verein war in der 2. Liga. Später war ich für kurze Zeit beim FK Željezničar Sarajevo unter anderem unter dem Trainer Osim. Anschließend spielte ich beim FK Rudar und von dort bin ich dann nach Österreich gekommen.

Welche Erinnerungen haben Sie an Ivica Osim?

Lukic: Eigentlich sehr gute. Als Jugendlicher hat man sich nicht viele Gedanken über die Trainer gemacht, aber wie es der Zufall wollte habe ich ihn hier in Österreich wieder getroffen. Und rückblickend kann man sagen, dass er in vielen Dingen ein Vorreiter war. Er hat damals, wie heute immer das Wesentliche getroffen.

Wie sind Ihre Erinnerungen an Jugoslawien, an diesen Vielvölkerstaat. An das Zusammenleben der Volksgruppen in Bosnien?

Lukic: Das ist das, was mir am meisten weh tut - heute noch! Es ist vorbei, aber trotzdem. Das ganze war eine politische Sache. Natürlich war die Lage in Bosnien sehr kompliziert, aber die verschiedenen Völker haben jahrelang wunderbar nebeneinander gelebt. Ich kann nur aus meiner Situation sagen, dass ich alle möglichen Nationen als nächste Nachbarn hatte und da hat es nie etwas gegeben. Als Junge war mir das gar nicht bewusst, später kamen diese Unterscheidungen auf. Aus meiner Sicht waren diese Dinge politisch gesteuert, das einem gesagt wurde: das sind die und das sind die anderen und wenn wir selbständig sind, dann geht es uns besser. Ich persönlich glaube das nicht.

Früher war es besser. Vielleicht war es nicht so demokratisch, aber was habe ich von der Demokratie, wenn die Situation dann schlechter ist?  Mein Vater ist, wie ich Atheist. Ich habe diese Situation nie als Problem gesehen. Mir hat das alles nur sehr weh getan. Meine Freunde haben mir viele Dinge erzählt, die sehr schlimm waren. Es gab Nachbarn, von denen es plötzlich hieß, der heißt so und er ist nicht gut. Das war für mich die schlechteste Zeit, die ich erlebt habe. Ich hatte mit meinen Eltern jahrelang keinen Kontakt. Es war das Schlimmste, was passieren konnte.

1984 sind Sie dann nach Österreich gewechselt. Wie hat sich das ergeben?

Lukic: Das war das Beste was ich machen konnte. Ich bin nicht aus wirtschaftlichen Gründen nach Österreich gekommen. Es war für mich eine sportliche Herausforderung. Mein Bruder war bereits in Österreich. Er spielte bei Neusiedl. Er kannte den damaligen Trainer von Vorwärts Steyr, der einen Libero suchte.

Der Transfer ging sehr schnell über die Bühne, wie waren Ihre ersten Eindrücke von Österreich?

Lukic: Ich wusste nicht, wo ich da hingehe und was mich erwartet. Die Sprache war natürlich ein Problem. Ich hatte acht Jahre französisch gelernt, demnach hätte ich in Frankreich sprachliche Vorteile gehabt, Deutsch konnte ich kein Wort. Es gab zwei, drei Personen mit denen ich mich verständigen konnte. Das hat für mich die Situation etwas leichter gemacht.

Wie haben Sie sich allgemein im Alltagsleben eingewöhnt?

Lukic: Meine Frau ist erst zwei Monate später nachgekommen. Wir hatten eine Wohnung und haben uns langsam eingewöhnt. Innerhalb der Mannschaft waren fast alle Spieler aus Steyr und Umgebung. Natürlich gab es da sprachliche Schwierigkeiten. Man musste immer wieder Übersetzen, das haben einige nicht so gut aufgenommen. Ich möchte nicht sagen als Ausländer sondern als Auswärtiger hatte ich es dem entsprechend nicht leicht. Ich habe natürlich nicht verstanden, was unter den anderen Mitspielern gesprochen wurde, aber im Spiel gab es schon Situation, wo mich die anderen Spieler im Stich gelassen haben. Aber, das hat sich mit der Zeit beruhigt. Es ist immer so, wenn jemand für die Gruppe etwas leisten kann ist er schneller anerkannt. Die haben gesehen, dass ich ein guter Spieler bin und später sind dann auch Freundschaften entstanden.

Wie lange hat es gedauert, bis Sie sich innerhalb der Mannschaft wirklich akzeptiert gefühlt haben?

Lukic: Die ersten zwei Monate war das Sprachproblem natürlich vorherrschend. Beim Training wurden die wichtigen Sachen übersetzt, aber wenn wir beisammen gesessen sind und gemeinsam Essen gegangen sind war das für mich sehr schwierig. Die anderen Spieler reden miteinander und lachen und du lachst halt mit, aber weißt gar nicht warum.
Wenn während dem Training ein Wort, das ich nicht verstanden habe öfter gefallen ist, bin ich gleich nach Hause und habe es im Wörterbuch nachgeschlagen. So habe ich jeden Tag mehr und mehr dazugelernt. Und nach einem halben Jahr habe ich die Sprache relativ gut beherrscht.

Sie waren relativ bald eine zentrale Figur in der Vorwärts-Mannschaft.

Lukic: Ja, das hat sich so entwickelt.

Was waren Ihre größten Erfolge?

Lukic: Das war sicher der Aufstieg in die Bundesliga 1988. Ich bin sehr froh, dass ich einmal mit Oleg Blochin gespielt habe. Wir haben uns gut verstanden, er sprach russisch und ich kroatisch. Seine Geschichte als Fußballer im russischen System ist ja sensationell und hat mich sehr interessiert.

Sie haben dann in der großen Vorwärts-Mannschaft gespielt, die jahrelang in der obersten Spielklasse gehalten hat. In dieser Mannschaft waren mehrere Spieler aus dem ehemaligen Jugoslawien. Gleichzeitig hat die jugoslawische Tragödie ihren Lauf genommen. War das ein Thema in der Mannschaft?

Lukic: Da gab es überhaupt keine Konflikte. Das ist ja interessant und eine Bestätigung für mich, dass ein friedliches nebeneinander möglich ist. Man musste den Krieg ansprechen, man konnte dieses Thema nicht einfach übergehen. Aber es gab nie irgendwelche Schuldzuweisungen.

Welche Erfahrungen haben Sie in anderen Zusammenhängen in Österreich gemacht?

Lukic: Zu Beginn stand der Fußball im Vordergrund. Andere Dinge waren nicht so wichtig. Solange du ein guter Fußballer bist und du gebraucht wirst ist alles in Ordnung. Wenn du nicht gebraucht wirst kommen die Probleme, dann lernst du das wahre Leben kennen.

Das heißt Sie haben die andere Seite nach Ihrer aktiven Karriere kennen gelernt...

Lukic: Als Fußballer hatte ich keine negativen Erfahrungen. Natürlich, später als Trainer war es etwas schwieriger. Ich habe in fünf Jahren die UEFA-Profilizenz als Trainer gemacht. Das hab ich geschafft. Dann kam eine andere Art von Konkurrenz. Als Fußballer sieht man, was man leisten kann. Als Trainer musst du warten, bis du das siehst. Du bist jetzt von Spielern abhängig.

Dann auch meine beiden Kinder zur Welt gekommen. Bei den Kindern gab es dann auch gewisse Schwierigkeiten mit der Schule oder auch nach der Schule. Man ist dann natürlich nicht nur für sich selbst oder für seine Frau verantwortlich, sondern trägt auch den Kindern gegenüber eine Verantwortung. Vorher ist alles leicht gegangen, man war unabhängig und könnte überall hingehen und alles machen. .

Ist Österreich für Sie zu einer Heimat geworden? Oder anders gefragt: Was ist für Sie heute Heimat?

Lukic: Heimat ist dort, wo ich mit meiner Familie bin, also meine Frau und meine Kinder. Ich fühle mich in Österreich sehr wohl. Natürlich wäre ich nach wie vor gerne in Bosnien. Ich kann nicht sagen ich vergesse das alles einfach. Meine Mutter lebt noch dort, meine Schwester und ich besuche sie gerne und verbringe ein paar Tage bei ihnen. (Das Interview führte Robert Hummer, Museum Arbeitswelt)