Julia Leischik in "Vermisst".

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Also, bei Vera aus Nürnberg war das so: Vor 19 Jahren hatte sie Streit mit ihrem Vater Antonin. Es ging ums Rauchen, und Vera war so wild, dass sie den "Bappa" aus der Wohnung warf. Der verließ nicht nur der Tochter Heim, sondern auch Deutschland, lebte fortan in Tschechien und der Ukraine.

Längst bedauert Vera den Streit, aber sonst weiß die "tierliebende Altenpflegerin" irgendwie auch nicht weiter. Gut, dass RTL helfen kann. Montags um 21 Uhr 15 rückt nämlich Julia Leischik in ihrer Sendung "Vermisst" aus, um verschwundene Personen zu finden. Da ist kein Weg zu weit, kein Berg zu hoch, gibt es auch keine Grenze, die sie aufhalten könnte.

"Ich bin Julia Leischik vom deutschen Fernsehen" , erklärt sie verdutzten Menschen in aller Welt und sitzt - schwuppdiwupp - schon in deren Wohnzimmern, um ihnen Informationen über die Vermissten zu entlocken. Wie bei einer echten Schnitzeljagd gibt es immer einen Hinweis, der zum nächsten führt. Dass Vera derweil zitternd, heulend und voll der Reue in Nürnberg sitzt, wird natürlich auch nicht verheimlicht, am schönsten zeigt man das in Großaufnahme.

Doch der Tränen noch nicht genug. Natürlich ist auch Antonin sehr gerührt, als er gefunden wird. Und dann gibt es ja noch das Wiedersehen. Der Vater weint, die Tochter schluchzt, Julia Leischik auch.

Bei diesem emotional-peinlichen Overkill wäre es nun wirklich herzlos, eine naheliegende Frage zu stellen: Warum viele dieser von RTLbeglückten Menschen es nicht selbst schaffen, sich wiederzufinden, wenn sie sich doch so vermissen. Längst nicht alle sind mittellos. Man könnte einen Detektiv einschalten. Der wäre dann allerdings mit Geld zu bezahlen und nicht mit Tränen - jener Währung also, die beim Privatsender RTL am liebsten angenommen wird. (Birgit Baumann/DER STANDARD; Printausgabe, 19.5.2010)