Klagenfurt - Der kroatische Teamchef Slaven Bilić ist ein voll zurechnungsfähiger Mann. Trotzdem sagt er: "Ihr habt eine ausgezeichnete Liga, tolle Experten und eine respektable Nationalmannschaft." Bilić meint tatsächlich Österreich. Da drängen sich natürlich Fragen auf, die allerdings maximal vage beantwortet werden können, weil das Interesse dann doch einigermaßen begrenzt ist. Meint er Kapfenberg, Mattersburg, Ried oder gar Austria Kärnten? Träumt er von Schlachten zwischen Wiener Neustadt und dem LASK? Lauscht er den Worten von Hans Krankl? Tapeziert er sein Wohnzimmer mit dessen Kolumnen? Ist ihm das 1:5 gegen Spanien entgangen?
Nein. Wahrscheinlich ist der 41-jährige Bilić nur gut erzogen. Möglicherweise relativiert er seine Meinung. Nach dem Spiel gegen Österreich, das am Mittwoch in Klagenfurt abgewickelt wird. 20.000 Zuschauer werden erhofft. Obwohl Bilanzen nicht sprechen können, hat es in vier Duellen einen Vierfachsieger gegeben: Kroatien. Bei der Europameisterschaft in Wien sind sie allerdings gehörig ins Strudeln geraten, dank eines Elfers haben sie 1:0 gewonnen. Bilić erinnert sich mit Schrecken daran: "Wir sind gehörig unter Druck geraten, der Schlusspfiff war eine Erlösung."
So dramatisch wird es diesmal nicht sein. Österreichs Teamchef Dietmar Constantini bekennt sich zur Außenseiterrolle. Am Ziel, nicht zu verlieren und im Idealfall sogar zu gewinnen, hält er freilich fest. Zumal die Kroaten einige Stammkräfte vorgeben müssen, Olić, Kranjèar, Pranjić fehlen. "Im Fußball passiert das Unrealistische", behauptet Constantini.
Überhaupt nicht mehr realistisch ist, dass Marc Janko sein Karriere bei Red Bull Salzburg fortsetzt. Die Differenzen mit Trainer Huub Stevens sind derart groß, dass man sie salopp als unüberwindbar bezeichnen kann. Offiziell sagt das Janko zwar nicht ("Habe Vertrag bis 2013" ), aber man müsste schon gegen eine Schleuse geschwommen sein, um Gegenteiliges anzunehmen. Janko: "Ich bin hier als Kapitän der Nationalmannschaft. Das ist eine Ehre. Wir werden alles geben. Kratzen, beißen, kämpfen und Fußball spielen, denn wir sind technisch nicht schwach." Janko hat bei Constantini prinzipiell keine Stammplatzgarantie, gegen Kroatien ist er freilich gesetzt.
Die Zange
Eine Qualitätssteigerung ist von der Flügelzange zu erhoffen, die kommt aus Deutschland. Links Ümit Korkmaz von der Frankfurter Eintracht, rechts der Neo-Stuttgarter Martin Harnik. Beide geben ein Comeback, Korkmaz nach mehr als einem Jahr, bei Harnik sind es fast zwei Jahre. Ümit ist Türkisch und heißt "Hoffnung" , Korkmaz bedeutet "furchtlos". Und die Nationalmannschaft ist für ihn "das Zuckerl im Fußball".
Das Brot ist seit Sommer 2008 Frankfurt. Der 24-Jährige hat dort in 18 Monaten fünf Knochenbrüche erlitten, zweimal Mittelfuß, einmal Zehe, einmal Jochbein, einmal Finger. Trotzdem ist er angekommen. "Weil ich nie aufgegeben und mein Pech akzeptiert habe." Trainer Michael Skibbe stellte ihn zuletzt immer auf. "Er hat mir gesagt, dass ich in der nächsten Saison sein Mann für die linke Seite bin."
Korkmaz verfolgt die Spiele seines Ex-Klubs Rapid im Internet, er ist dankbar, dass er in Hütteldorf auf die Welt vorbereitet wurde. Und die Welt ist hart. "Du musst dich anpassen, deinen Körper stählen, du darfst keine Komplexe haben." Die Intensität sei der wesentlichste Unterschied. "In Deutschland kommen Lastautos auf dich zu, in Österreich ganz normale Fußballer." Die Kroaten zählt er zu den Lastautos.
Bei der EURO haben 50.000 im Happel-Stadion "Ümit, Ümit" geschrien. Korkmaz ist sich der Bedeutung bewusst. "Ich war der erste Fußballer mit Migrationshintergrund, der derart geschätzt wurde." Er sei gespannt, "was in Klagenfurt alles passiert". (DER STANDARD PRINTAUSGABE 19.5. 2010)