Benedikt XVI. will künftig vor allem außereuropäische Kandidaten in die Römische Kurie holen. Indes wird vom Papst auch ein genauer Blick in die Vergangenheit gefordert: für eine Neufassung der Wojtyla-Biografie.
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Über Jahrhunderte bestimmten sie das Geschehen im Vatikan. Noch heute stellen sie 39 der 182 Kardinäle. Doch nun soll der unverhältnismäßig hohe Anteil der Italiener in der Römischen Kurie sinken. Erstes prominentes Opfer der vom Papst gewünschten Trendwende ist der Präfekt der Bischofskongregation, Giovanni Battista Re. Informellen Informationen zufolge soll der italienische Kardinal noch vor dem Sommer durch den Erzbischof von Sydney, George Pell, abgelöst werden. Der 69-jährige Australier, der eine der wichtigsten Kongregationen im Vatikan übernimmt, gehört zu den Hoffnungsträgern der Kurie.
Der Wechsel ist symbolhaft für den Willen Benedikts XVI., die Kirchenführung zu internationalisieren und den Einfluss der Europäer zu beschneiden. Vor allem Asien, Afrika und Lateinamerika sollen stärker vertreten sein.
24 neue Kardinäle will der Papst in den nächsten Monaten ernennen. Neben Giovanni Battista Re hat auch Walter Kasper die Altersgrenze von 75 Jahren überschritten. Der Deutsche, als Vorsitzender des Rats für die Einheit der Christen für den Dialog mit anderen Konfessionen zuständig, soll bald abgelöst werden. Über die mögliche Nachfolge gibt es nur Spekulationen. Die Zahl der zur Papstwahl berechtigten Kardinäle unter 80 Jahren ist auf 110 gesunken. Weitere 15 werden die Altersgrenze bald erreichen. Damit muss fast ein Fünftel des Konsistoriums neu besetzt werden.
Als sichere Kandidaten gelten in der Gerüchteküche der Münchner Erzbischof Reinhard Marx, der neue Prager Erzbischof Dominik Duka (67) und der Erzbischof von Westminister, Vincent Nicols. Die lange Liste außereuropäischer Anwärter bestätigt die neue geopolitische Strategie Joseph Ratzingers. Neben den Erzbischöfen von New York und St. Louis, Timothy Dolan und Raymond Burke, gelten der Brasilianer Orani Joao Tempesta, der Singalese Malcolm Ranjith, der Uruguayer Nicolas Fanizzi, der kongolesische Erzbischof Laurent Monsengwo Pasinya und seine afrikanischen Kollegen Simon-Victor Tonye Bakot (Kamerun) und Cyprian Zizito Lwanga (Uganda) ebenso als Favoriten wie der burmesische Erzbischof von Rangun, Maung Bo.
Die Korrektur scheint unumgänglich. Europa stellt mit 283 Millionen Katholiken 99 Kardinäle, Asien mit 124 Millionen Gläubigen nur 18 und Afrika mit 173 Millionen lediglich 13. Um die Anzahl der Europäer zu reduzieren, hat sich Benedikt von einer alten Tradition verabschiedet: Bischöfe wichtiger italienischer Städte wie Turin, Bologna oder Florenz oder Erzbischöfe katholischer Hauptstädte wie Warschau, Zagreb oder Paris können nicht mehr automatisch mit der Ernennung zum Purpurträger rechnen.
Bemängelte Wojtyla-Biografie
Indes scheint sich die Seligsprechung von Joseph Ratzingers Vorgänger Karol Wojtyla weiter zu verzögern. Vor dem Hintergrund der Vertuschungsvorwürfe gegen Johannes Paul II. im Fall Groër und des Gründers der Legionäre Christi, Padre Maciel, forderten zwei im Vatikan hoch geachtete Publizisten eine Überarbeitung der Positio - der nach Kirchenrecht erforderlichen Biografie für Seligsprechungsverfahren.
Die Positio zur Seligsprechung des polnischen Papstes wurde bereits 2009 abgeschlossen - vor den Enthüllungen zum aktuellen Missbrauchsskandal. Der des Missbrauchs überführte Padre Maciel hatte bei Wojtyla hohes Ansehen genossen. Die Papst-Biographen George Weigel und Andrea Tornielli plädieren für eine Öffnung und Bearbeitung der Unterlagen. Weigel: "Vor der Seligsprechung muss eine Dokumentation erstellt werden, die belegt, wie das Täuschungsmanöver Maciels tatsächlich abgelaufen ist."
In der Wojtyla-Positio fehle das Kapitel Maciel derzeit praktisch vollständig, bemängelt der Vatikan-Experte der Tageszeitung Il Giornale, Andrea Tornielli. Benedikt hatte vor drei Wochen mit der Einsetzung eines Legaten für die "Legionäre Christi" Konsequenzen aus dem Skandal um Maciel gezogen, der ein "intolerables Doppelleben" geführt habe. Davon soll Wojtyla nichts gewusst haben. Eine Gruppe von Missbrauchsopfern Maciels hatte sich 1998 an die Glaubenskongregation gewandt. Eine Untersuchung des Ordens wurde vom Vatikan aber erst 2009 angeordnet. (Gerhard Mumelter aus Rom/DER STANDARD, Printausgabe, 20.5.2010)