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Ein Haus aus den Knochen von Howlin' Wolf: The Dead Weather

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Jack White darf man sich ruhigen Gewissens als Sachbearbeiter vorstellen. Der Mann sitzt seit einigen Jahren und dem Umzug von Detroit nach Nashville mit seiner Frau Karen Elson in seinem Büro in Nashville, Tennessee, und nimmt sich "Cold Cases" der Rockgeschichte vor. Dabei stand bei seiner alten Stammband The White Stripes vor allem der in Richtung Punk und The Gun Club gedeutete, elektrifizierte Countryblues eines Howlin' Wolf, Muddy Waters, Robert Johnson oder Son House und Hound Dog Taylor im Vordergrund. Bei seiner zweiten Band, The Raconteurs, wilderte Jack White eher im melodisch-griffigen Fach des Sixties-Rock. Mit seiner dritten Combo, The Dead Weather, für die er von der Gitarre ans Schlagzeug wechselte, lässt White nun schon auf einem zweiten Album die 1960er-Jahre in Richtung Blues- beziehungsweise Hardrock und Led Zeppelin ausklingen.

Gemeinsam mit Sängerin Alison Mosshart (The Kills) sowie Dean Fertita (Queens Of The Stone Age) und Jack Lawrence (The Raconteurs) an Gitarre und Bass wurde nach dem großartig verschlurften und dreckigen Debüt "Horehound" von 2009 nun der Katalog an möglichen Neudeutungen alter Faktenlagen erweitert. Die Basis der Arbeit bilden dabei für die in Jam- Sessions generierten Songs zu Tode gespielte Gitarrenriffs, wie man sie heute immer noch vor allem außerhalb der urbanen Musikmetropolen auch in Österreich noch immer aus den Proberäumen dringen hört. Dies ist der Soundtrack der Provinz und seiner grundsätzlichen Skepsis gegenüber der Moderne: Bluesrock. Stoisch, statisch, verbockt, nicht allzu schnell, eher behäbig-verbohrt - und enttäuscht von einem Heute, das doch früher viel besser war.

Man muss davon ausgehen, dass sich hier im Vierviertel- und Zwölfertakt Männer (und aktuell eben auch Frauen wie Alison Mosshart) zu recht ruppig-repetitiven Gitarrenmotiven und durchaus aggressiven Blue Notes zu ihrer Befindlichkeit gegenüber der Außenwelt äußern. Das bedingt dann an den Instrumenten aus der eigenen kleinen Not und Ausweglosigkeit destillierte Allmachtfantasien. Diese berufen sich auf das vor fast 50 Jahren von weißen Männern wie Eric Clapton, Jimmy Page oder Jeff Beck und Rory Gallagher angehäufte Diebesgut aus dem US-Süden. Die ganze Arbeitshaltung speist sich aus Trotz. Und der Umgehung sämtlicher Urheberrechte.

Keine einzige Tonfolge, kein einziges Riff, welches nicht schon tausend Mal zuvor erklungen wäre. Auch die Texte basieren auf reinem Bausteinprinzip. Allein die Songtitel sprechen für sich: Blue Blood Blues. I'm Mad. Gasoline. Jawbreaker. Dass dies mitunter dennoch aufregend und so ähnlich wie "authentisch" klingt, verdankt sich der Tatsache, dass sich Jack White mit The Dead Weather nicht einfach auf diesen Stil draufsetzt und ihn akademisch behandelt. Er lebt in dieser von unzähligen Geistern und Leichen im Keller bevölkerten Totenstadt mit derartig großem Ernst (und allen Ernstes), dass selbst die Instrumente und die Kleidung der Musiker wie auch das Studioequipment kein späteres Baujahr als die 1960er-Jahre zulassen. Jack White lebt nicht digital, er lebt analog.

Allerdings schleicht sich mit quietschender Orgel und brutal verzerrten Gitarren wie hysterischem Duettgesang von White und Mosshart dann doch auch noch ein Funken Modernität in dieses klingende Museum. Am Anfang von Früher war White eben doch auch Punk. (Christian Schachinger / DER STANDARD, Printausgabe, 21.5.2010)