"Sehr erfreut über diese große Bewegung, die jetzt in die Diskussion kommt", zeigte sich Unterrichtsministerin Claudia Schmied (SPÖ) über den Vorschlag von Wissenschaftsministerin Beatrix Karl (ÖVP) eines "Gymnasiums für alle". Alle internationalen Studien würden sagen, dass die Trennung in verschiedene Schultypen mit 9,5 Jahren nicht zu besserer Bildung führe. "Daher kann ich nur begrüßen, was Karl gesagt hat und freue mich, wenn das auch in das bildungspolitische Papier der ÖVP einfließt und wir das im Herbst eingehend diskutieren können", sagte Schmied.

Die vergangenen Tage würden zeigen, dass hier eine große Dynamik in die Diskussion gekommen sei. Schmied fühlt sich dadurch auch in ihrem Weg bestärkt, 2007 den Schulversuch "Neue Mittelschule" durchgesetzt zu haben. "Es schaut gut aus, ich freue mich, da in die Details zu gehen", sagte Schmied.

Die Ministerin kann Karls Vorschlag auch "eine sehr interessante wirtschaftliche Facette" abgewinnen. Denn "Gymnasium für alle" hieße, dass sich Länder und Gemeinden schwerpunktmäßig der Bereiche Kindergarten und Volksschule annehmen würden und die Bereiche ab der Sekundarstufe I, mit den wichtigen Fragen der Schulerhaltung und der ganztägigen Schulformen, beim Bund seien. "Das würde in wirtschaftlich sehr schwierigen Zeiten die Gemeinden enorm entlasten", sagte Schmied. Dass dadurch allerdings dann der Bund belastet würde, räumt Schmied ein, "aber die österreichweite Steuerung aus einer Hand bringt auch enorme Vorteile".

Lehrergewerkschafter orten Skandal

Die Lehrergewerkschafter zeigten sich empört. Walter Riegler, Lehrervertreter an den Hauptschulen, nannte es einen "ausgesprochenen Skandal", dass eine "Einzelperson" versuche, die Parteilinie zu präjudizieren. AHS-Lehrergewerkschafterin Eva Scholik empfahl Karl überhaupt, sie solle "in Hinkunft von diesbezüglichen Wortspenden Abstand nehmen", wenn sie wegen der brennenden Probleme an den Unis "keine Zeit für eine fundierte Auseinandersetzung mit der Schulpolitik findet".

Riegler zeigte sich "als Staatsbürger maßlos empört" darüber, dass Karl bereits ihre Wunschergebnisse verkünde, bevor die zuständige Kommission Vorschläge gebracht habe. Mit ähnlichen Vorwürfen war die Ministerin bereits beim Hochschuldialog konfrontiert. "Vielleicht ist es wirklich eine Sache des persönlichen Stils", kommentierte Riegler dieses Vorgehen. Er bezweifle allerdings, dass VP-Parteichef Josef Pröll sich ein solches Vorgehen in der Schulpolitik gefallen lasse.

Auch inhaltlich verurteilte er die Idee, alle Zehn- bis 14-Jährigen in Gymnasien zu unterrichten: Wenn Karl sich tatsächlich mit den Aufgaben des Gymnasiums beschäftigt hätte, würde dies bedeuten, dass sie sich ein "völlig undifferenziertes Schulsystem" wünsche. Immerhin gebe es an AHS keine Leistungsgruppen. Er hinterfragte außerdem, welche Auswirkungen dies auf die Matura haben könnte.

Scholik gegen "linke Retro-Bildungskonzepte"

"Wir brauchen keine neuen Namen für linke Retro-Bildungskonzepte, sondern endlich Unterstützung für jene SchülerInnen, die der Hilfe von SchulpsychologInnen, SozialarbeiterInnen etc bedürfen", forderte Scholik. Karl solle sich lieber am Anfang der Woche präsentierten Bildungskonzept des ÖAAB orientieren. "Wir sind für alle Vorschläge offen, die die Durchlässigkeit und Effizienz unseres bewährten Schulsystems erhöhen", betonte sie. Die Gesamtschule werde aber auch dann nicht zur sinnvollen Alternative, wenn sie statt "Neue Mittelschule" nun "Gymnasium für alle" genannt werde.

SPÖ-Vertreter freuen sich

Die SPÖ reagiert freilich erfreut auf den Vorstoß von Karl."Das ist ein bildungspolitischer Fortschritt, jetzt müssen den Worten Taten folgen. Wir wollen sofort Gespräche mit der ÖVP über den Vorstoß der ÖVP-Wissenschaftsministerin führen", so SPÖ-Bildungssprecher Elmar Mayer in einer Aussendung. Bundesgeschäftsführerin Laura Rudas meinte: "Es ist schön, dass anscheinend jetzt auch die ÖVP bei der Bildungspolitik im 21. Jahrhundert angekommen ist."

Karls Aussagen würden das erst vor wenigen Tagen präsentierte ÖAAB-Bildungskonzept alt aussehen lassen, sagte der Vorsitzende der Sozialistischen Jugend (SJ), Wolfgang Moitzi. Iris Schwarzenbacher von der Aktion Kritischer SchülerInnen (AKS) warnte jedoch: "Mit einem bloßen Hauptschulupgrade sind die Missstände im Bildungssystem nicht beseitigt."

Opposition gespalten

Höhnische Reaktionen erntet die Volkspartei von FPÖ und BZÖ für den Vorstoß der Wissenschaftsministerin. Aus Sicht der Freiheitlichen hat sich die ÖVP zum "bildungspolitischen Slalomfahrer" entwickelt. Bildungssprecher Walter Rosenkranz empfahl, die Parteiposition zur Schulreform "vor dem peinlichen nächsten Meinungsschwenk" festzulegen. Von "völliger Ahnungslosigkeit" geprägt" ist der Karl-Vorschlag für BZÖ-Bildungssprecherin Ursula Haubner. Grünen-Bildungssprecher Harald Walser zeigte sich unterdessen erfreut über die "neuerdings zart sichtbaren Reformpflänzchen um Beatrix Karl" und äußerte die Hoffnung, dass der "Bildungs-Beton" der ÖVP bröckeln könnte. (red, APA, derStandard.at, 20.5.2010)