Nada Surf: "If I Had a Hi-Fi"
Was tun ehemalige Collegeradio-Lieblinge, wenn sie sich langsam in der Welt der Fortysomethings wiederfinden und sich nach neuer Standortbestimmung umschauen müssen? Richtig, sie nehmen ein Album mit Coverversionen auf. - Mutloses Kleben am Offensichtlichen kann man Matthew Caws & Co dabei jedenfalls nicht vorwerfen: Auf dem Menü stehen unter anderem Avantgarde-Musiker Arthur Russell ("Janine") und Kate Bush ("Love and Anger" aus der Zeit nach ihren großen Erfolgen).

Sogar auf andere Sprachräume werfen Nada Surf einen Blick und covern Coralie Clement und eine hierzulande wohl kaum jemandem bekannte spanische Band - jeweils ohne Übersetzung. Am schönsten von allem vielleicht die mit Byrds-Harmonien gespickte Version von Bill Fox' "Electrocution": Noch einmal ein Griff ins Seltenheiten-Regal. Eine Aussage über die Substanz der Band ist das alles natürlich immer noch nicht - aber es klingt gut. (Warner)

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Nada Surf

Coverfoto: Warner

Grossstadtgeflüster: "Alles muss man selber machen"
Grossstadtgeflüsters 2008er Album "Bis einer heult!!!" hat mir eigentlich recht gut gefallen - im Nachhinein erweist es sich als die Low-carb/no-fat-Vorspeise zur fetten Ladung, die uns das Berliner Trio jetzt auf den Plattenteller knallt. Mit ihrer auf Live-Mobilisierung ausgerichteten Mischung aus Danceflor und Electropunk fischen Grossstadtgeflüster im selben Publikum wie z.B. Culcha Candela, Mono&Nikitaman oder Deichkind. Die kommen zwar alle aus sehr unterschiedlichen musikalischen Richtungen, treffen sich aber im Zentrum, wo es um den Effekt geht: Dem Tritt aufs Spaßpedal.

Der bevorzugte Humor ist dabei von der fiesen Art, "Weine nicht mein Kind, es ist alles halb so schlimm, es wird alles noch schlimmer" usw. Von Vorteil ist dabei die gesangliche Flexibilität von Frontfrau Jen Bender, die adäquat schreien ("Laut reden nichts sagen") und wie in bester "Codo"-Manier von der Liebe säuseln kann ("Kartoffelsuppe"; ein Stück mit unwahrscheinlichen Reimen und natürlich ohne Happy End). Oder sie ventiliert mit Knefscher Trockenheit die Chancen und Risiken, einen Song mit dem Titel "Nutten und Koks" zu veröffentlichen; als Hintergrund dazu wird die "Ode an die Freude" zerquetscht.

"Alles muss man selber machen" ist die bislang rundeste Sache aus dem Hause Grossstadtgeflüster: Eine 50-minütige Party-Dröhnung zwischen Discokugel und Abrissbirne. (BMG/Roughtrade)

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Grossstadtgeflüster

Coverfoto: BMG

The Bird and the Bee: "A Tribute to Daryl Hall and John Oates"
Warum soll sich Easy Listening eigentlich immer auf die 60er Jahre beziehen? Das haben Sängerin Inara George und Gesamtinstrumentalist Greg Kurstin aus Los Angeles zwar auch schon gemacht - jetzt aber bedienen sie sich bei einem Hit-Duo der frühen 80er: Daryl Hall & John Oates, die mit ihrer Mischung aus Soul und Synthesizern Erfolge in Serie produzierten.

Eingeleitet wird das Album mit einem Song aus eigener Feder ("Heard It On The Radio"; quasi die erklärende Einleitung zum Tribute und obendrein eines der besten Stücke). Dann aber rollen die Hall&Oates-Evergreens an: Vom hier extrasüßen "Kiss On My List" über "Private Eyes" bis zum (recht handzahmen) "Maneater". Anders als Nouvelle Vague, die auf Verfremdung von Punk- und New Wave-Klassikern setzen, bleiben The Bird and the Bee dem Originalsound übrigens weitgehend treu. Sehr charmant - auch wenn die Originale im Direktvergleich plötzlich wie fettester Motown-Soul klingen ... (Blue Note/Import)

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The Bird and the Bee

Coverfoto: Blue Note

Sambassadeur: "European"
Schwedisch ist's, europäisch nennt es sich und schottisch klingt's. Genauer gesagt: Wie Belle & Sebastian oder Camera Obscura, deren Fans ich die Göteborger Band um Sängerin Anna Persson echt gerne ans Herz legen würde.

Da wird fortissimo ins Klavier geklopft, das Saxophon getrötet und das Streichquartett so aufgeschäumt, dass man sich in Mamas TV-Land zwischen "Miss Marple" und "Mit Schirm, Charme und Melone" versetzt fühlt. Und immer - sämtliche Songs haben Abschiede zum Inhalt - mit einer kleinen zartbitteren Extranote. Echter Zuckerpop. (Labrador/Hoanzl)

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Sambassadeur

Coverfoto: Labrador

Verschiedene: "St. Pauli Einhundert"
Ich bin zwar Werder-Fan, aber St. Pauli mag man einfach über sämtliche Zugehörigkeiten hinweg. Rechtzeitig zum 100-Jahre-Jubiläum hat sich der Hamburger Kultverein nicht nur mit dem Wiederaufstieg in die erste deutsche Bundesliga belohnt, sondern auch mit einem Sampler voller Hymnen. Dieser hier mit 24 Songs und 5 Spielbericht-Schnipseln ist übrigens nur die Version für die Allgemeinheit - es gibt noch eine fünfmal(!) so lange Fan-Edition.

CDs mit Vereinsliedern sind musikalisch gesehen ja in aller Regel ein Anlass zum Fremdschämen - hier nicht. Da zahlt es sich wieder mal aus, dass St. Pauli seit langem mit der Hamburger Musikszene verbandelt ist. Ungefähr die Hälfte ist erwartungsgemäß im Großraumbereich Fun-Punk angesiedelt (Rantanplan, No Exit, Außenborder), dazwischen immer wieder mal auch Elektronik, Ska und Rockabilly. Und  - hier wird's nun wirklich untypisch für dergleichen Sammlungen - unter all den Kampf-, Durchbeiß- und Zusammenhaltparolen findet sich sogar Platz für Reflexives. In den Worten Thees Uhlmanns von Tomte: "Das hier ist Fußball, das hier sind Dramen!" (Tapete/Hoanzl)

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FC St. Pauli

Coverfoto: Tapete

Chau Chat: "Le Début"
An spröder Schönheit, die sich nicht so leicht einem Genre zuordnen lässt, arbeiten Christian Illi und Ron Flieger aus Deutschland, die nun ihren ersten gemeinsamen Tonträger herausgegeben haben. Da kann auf ein lyrisches Pianostück ("Apfelkura") Rock, zu dem die Streicher hochgejagt werden, folgen ("My Little Girl"). Und mittendrin sogar ein leicht zugänglicher Pop-Song wie "Konfusion-Stigmata" stehen, der sich in vollem Sound abstrichlos radiotauglich präsentiert. (Beiseit: Die Titelgebung könnte auch einen Tick weniger artifiziell ausfallen; auf die Songs hat das allerdings keine Auswirkung.)

Insgesamt erinnert das am ehesten an die Parenthetical Girls aus Oregon. Hier wie dort baut sich aus emotionsgeladenem Gesang und der Dynamik von Tempo-  und Lautstärkewechseln einiges an Dramatik auf -  entsprechend den Dramen, welche die Jungen, Mädchen und geschlechtlich Unbestimmten, die die Songs bevölkern, erleben und erleiden. Tipp: Öfter anhören. Und nicht nebenbei. (Dienje/Roughtrade)

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Chau Chat

Coverfoto: Dienje Music

Great Lake Swimmers: "The Legion Sessions"
"Palmistry" und "Pulling On A Line" sind einfach wunderschöne Songs, das gilt live erst recht. Ein paar Monate vor ihrem 2009er Album "Lost Channels" hat die Folkrock-Band Great Lake Swimmers aus Toronto einen Großteil der Songs live eingespielt. In den Räumlichkeiten einer kanadischen Kriegsveteranen-Organisation übrigens, darum "Legion Sessions".

Der Tonträger, der offiziell als EP läuft, mit neun Stücken aber fast Albumlänge erreicht, wurde heuer anlässlich des Record Store Day, mit dem MusikerInnen den unabhängigen Plattenhandel unterstützen, veröffentlicht. Und auch wenn die Songs nicht vor Publikum eingespielt wurden, erinnern die "Legion Sessions" an die großen Zeiten von MTV Unplugged in den 90ern, als sich die Stars noch die Klinke in die Hand gaben, um ihre Songs in intimer Atmosphäre zu präsentieren.  (Nettwerk/Soulfood)

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Great Lake Swimmers

Coverfoto: Nettwerk

Dark Room Notes: "We Love You Dark Matter"
Nach soviel Feinschliff zum Abschluss jetzt noch was Fetzigeres: Das Trio Dark Room Notes aus Dublin (nicht Manchester, wie der Sound vermuten lassen könnte) hat erklärt, sich mehr in Richtung Electronica entwickeln zu wollen. Vorerst ist es aber noch Rock - auch wenn die Melodie meist der Sythesizer spielt und den Gitarren eher unterstützende Funktion zukommt.

"We Love You Dark Matter" wurde live eingespielt, um möglichst viel Impuls zu erzeugen, und das ist Ronan Gaughan, Ruairi Ferrie und Arran Murphy über weiteste Strecken auch gelungen. Auch wer mit dem Bandnamen bislang nichts anfangen konnte, hat gute Chancen, in den vergangenen Monaten die Single "Love Like Nicotine" oder auch "Shake Shake My Ceiling" gehört zu haben. Und dazu mit dem Arsch gewackelt. (BBE/Hoanzl)

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Dark Room Notes

Coverfoto: BBE/K7