Peter Patzak: "Wirft man einen Frosch in siedendes Wasser, ist sein Reflex so gigantisch, dass er raus springt und sein Leben rettet. Lässt man ihn ins kalte Wasser springen und erhöht man langsam die Wassertemperatur, zerplatzt er."

Foto: Standard/Regine Hendrich

Filmemacher Peter Patzak vermisst das Grau in Wien und das Avantgarde-Denken im ORF. Warum es Kottan mit seiner Bank zu tun bekommt und welche Rolle die Kaffeemaschine für Patzak spielt, erfuhr Renate Graber.

Peter Patzak: Kaffee?

Standard: Gern – Sie machen ihn eher nicht in so einer Maschine wie in Kottan; die, die nie funktioniert?

Patzak: Nein. Aber in einer Espressomaschine, die meine Prinzessin ist, die mich ununterbrochen beschäftigt. Wann immer sie Wasser will, entleert werden will, Kaffeebohnen braucht: ausschließlich, wenn ich drauf drücke. Niemand anderer wurde je von dieser Kaffeemaschine enttäuscht, nur ich. Ist mir aber ans Herz gewachsen.

Standard: Sie drehen jetzt einen neuen Kottan-Kinofilm. Kottan in Nespresso-Zeiten wird schwierig?

Patzak: Kottan ist ja jetzt schon 62 Jahre alt, Original-Lukas-Resetarits-Alter, auch sein Polzeipräsident hat sich inzwischen gelöst von diesem Tick. Er ist von einem ganz anderen Apparat fasziniert: Der Kaffeeautomat wurde nahtlos vom Polizei-Apparat ersetzt; von Maschinen, die die Bevölkerung überwachen, vorgebend sie zu beschützen.

Standard: Ist das da Farbe an Ihren Fingern?

Patzak: Ganz wenig. Wieso?

Standard: Sie schauen auch immer, wenn Sie Maler treffen. Aber nur Karel Appel hatte Graphit an den Fingern. Er hat Ihnen ein Bild geschenkt, einst im Café Hawelka.

Patzak: Ja, hängt da drinnen. Und die alte Frau Hawelka hat geglaubt, er macht das Bild für sie. Ich habe immer farbige Finger nach dem Malen, ist ja so ein haptischer, sinnlicher Prozess.

Standard: Ist Malen Ordnung machen, wie einer Ihrer Freunde sagt?

Patzak: Alles ist Ordnung machen, auch Filmen ist aufräumen. Man wird auch immer genauer und genauer und genauer im Erfassen der Figur, in der Definition ihrer dritten Haut: In welchem Raum lebt die Figur, was hat sie an; das alles ist ein Genauigkeitsprozess.

Standard: Warum haben Sie diesen Genauigkeitsdrang?

Patzak: Um das innere Chaos zu beschützen und festzuhalten.

Standard: Sie haben schon als Bub gemalt; Ihr Zeichenlehrer am Gymnasium hat bewundert, wie exakt sie Kreise malen konnten. War dieser Lehrer Arminio Rothstein?

Patzak: Ja. Ich habe ihn geliebt.

Standard: Er war Maler, Puppenmacher, Puppenspieler – und Clown in einer ORF-Sendung.

Patzak: Ja, Habakuk; und eine große Künstlerfigur. Ich habe über ihn geschrieben, in "Wie mich meine Mutter zum Film brachte".

Standard: Darin erzählen Sie, dass Ihre Mutter Sie im Kinderwagen auf der Mölker Bastei unabsichtlich in einen Dreh vom "Dritten Mann" schob. War das so?

Patzak: Ja. Sie hat mich aber wieder rausgeschoben.

Standard: Sie malen, schreiben, machen Filme, inszenieren am Theater. Was davon tun Sie am liebsten?

Patzak: Zu bestimmten Zeiten und je nach Befindlichkeit mache ich das eine oder andere besonders gern. Als ich in China war, habe ich zum Beispiel einen großen Zyklus mit Reispapier und chinesischer Pulverfarbtechnik gemalt ...

Standard: Als Sie mit Martin Scorsese dort waren und er beim Lebend-Fisch-Essen auszuckte?

Patzak: Diese Reise war Anfang der 80er. Ja, da gab es einmal Living Fish: Da wird der lebende Fisch gezeigt, zusammen gebunden, in siedendes Wasser getaucht. Die Qualität der Zubereitung besteht darin, dass er, während man mit den Stäbchen in ihm wühlt, zappelt und mit den Augen rollt. Scorsese geriet in Panik, aber irgendwann waren wir vom Schnaps mutig genug zu essen. Das ist eine Metapher, die ich oft beschreibe: Wirft man einen Frosch in siedendes Wasser, ist sein Reflex so gigantisch, dass er raus springt und sein Leben rettet. Lässt man ihn ins kalte Wasser springen und erhöht man langsam die Wassertemperatur, zerplatzt er.

Standard: Wofür steht das Bild?

Patzak: Für einen gesellschaftlichen Prozess, es gibt ja bei der Temperaturveränderung auch das Erkalten. Das spüre ich sehr, auch in der jetzigen Krise.

Standard: Sie glauben ja an Zyklen: Was kommt nach der Krise?

Patzak: Die Erde wird einmal einen bedeutsamen Rülpser machen, der uns zum Nachdenken bringt. Wir können schon abgeworfen werden wie lästige Krabbeltiere, die einem Gleichgewicht im Weg sind. Man wird's vielleicht nicht merken: Vielleicht werden wir wie der Frosch im kalten Wasser hintemperiert, zum Platzen.

Standard: Stichwort Krise: Die Kottan-Fernsehserie wird ab 1976 immer grotesker, im jetzigen Kinofilm wird es um Realistisches gehen: Die Bank will Kottans Schrebergartenhaus?

Patzak: Kottan ist in all den Jahren ein relativ normaler Typ geworden. Er agiert mehr aus dem Erstaunen heraus. Im neuen Film ist die Gier das Hauptthema.

Standard: Wird Bibiane Zeller als Kottans Frau Ilse eigentlich wieder singen? Sie rockt so gern, sagte sie mir unlängst in einem Interview.

Patzak: Sie bekommt einen Auftritt, unbedingt. Sie wird ein Blues-Brothers-Saxofon-Solo hinlegen. Und Kottans Kapelle wird es auch wieder geben, das hat Kottan ja 25 Jahre gemacht: Im Garten gearbeitet, ein bisschen musiziert und dafür ein bisschen Eintritt verlangt.

Standard: Lukas Resetarits ist 62 Jaher alt, Zeller 82, Sie sind 65. Etwas überwutzelt, die ganze Kottan-Crew?

Patzak: (lacht) Ich habe jetzt noch Erich Schleyer als Banker besetzt, damit ich nicht der Älteste bin am Set. Er ist 70. Aber lassen Sie mich noch zur Gier etwas sagen. Aus Individualität, der man einst große Qualität zuschrieb, wurde ja inzwischen Soziopathie. Ob in Wirtschaft oder Kunst: Jeder will auf alles Einfluss nehmen für irgendeinen Vorteil. Dem entkommt man nur in der verkaufsfreien Zone, indem man als Einzelperson die Spielregel verweigert. Mir gelingt das zum großen Teil.

Standard: Sie müssen auch leben, Filme, Bücher, Bilder verkaufen.

Patzak: Ich hab' ja gesagt: zum großen Teil. Und ich bin sehr glücklich, dass der Kottan-Film zustande kommt, aber ich war viele Jahre sehr unglücklich, dass vieles andere nichts geworden ist. Viele Projekte, die da draußen in meinem Friedhof begraben sind, hat man nicht so großzügig behandelt.

Standard: Sie meinen im ORF?

Patzak: Ja, ein Film über Richard Gerstl und Mathilde Schönberg etwa oder eine Zeitreise, da hätte Scorsese die Executive Production übernommen. Das war ORF und Förderanstalten zu groß, zu fremd. Im Vergleich dazu war der ORF früher eine Avantgarde-Stube. Heute will er mit seinen Fernseh-Produktionen etwas andres sein, Beruhigungsdroge vielleicht. Das macht die ganze Branche traurig. Wenn ich meinen Studenten an der Filmakademie heute meinen Film über Gavril Princip zeige, können die es gar nicht fassen, dass das damals eine Fernseh-Co-Produktion war.

Standard: Sie reden von Ihrem Film über den Mörder des Thronfolgers Franz Ferdinand und seiner Frau – Ihr Vater war wirklich auf der Viribus Unitis, dem Schiff, das die Toten nach Triest gebracht hat?

Patzak: Ja. Mein Großvater war in der Monarchie Marinekapitän gewesen, mein Vater hat Maschinenbau studiert, verlor dann aber seinen Job und wurde Polizist. Bei uns daheim sind damals wirklich die Strizzis ein und aus gegangen: Die kamen am Abend bei meinem Vater vorbei, er hat mit ihnen geredet, was zu reden war; wir Söhne waren aber nicht dabei. Das war so wie bei Arztkindern, die sehen ja im Vorbeigehen auch die Patienten ihrer Eltern.

Standard: Sie hätten wirklich fast einmal mit Steven Spielberg gearbeitet?

Patzak: Ja, und seinen Blick, als ich bei ihm im Büro war, werde ich nie vergessen. Er war erschüttert.

Standard: Wegen Ihrer Ideen?

Patzak: Nein. Ich habe mir ein Zigarette angezündet, das hat er nicht glauben können, der Arme. Aber sein Konzept hätte mir Spaß gemacht: Verschiedenste Autoren und Regisseure aus aller Welt hätten für ihn Unbelievable Stories ezählen sollen, das Projekt kam aber nicht zustande. Scorsese wäre auch dabei gewesen.

Standard: Warum ist Scorsese so wichtig für Sie?

Patzak: Wegen der Bedeutung etlicher seiner Filme auch für meine Arbeit: "Taxi Driver" oder "Raging Bull". Das waren Fime, bei denen ich dachte: Ich muss aufhören oder weiter machen. Vielleicht hätte ich aufhören sollen.

Standard: Das ist kokett.

Patzak: Das ist nicht kokett. Im Film sind gewisse Dinge nur über lange Zeit und mit großen Mitteln erzeugbar; und der Traum, an diese Budgets ranzukommen ist ausgeträumt im europäischen Kino.

Standard: Es heißt, Sie machen nie Urlaub. Wie schalten Sie eigentlich ab?

Patzak: Möglichst gar nicht. Nur nicht abschalten. Das wär' schrecklich, davor hab ich Angst.

Standard: In Ihren Filmen spielt oft Wien eine Hauptrolle. Die Stadt ist nicht mehr so grau wie früher?

Patzak: Das Graue geht mir als Künstler ab. Jetzt sind die Häuser bunt, aber alles andre ist grau. Die Kampfgespräche zwischen den Surrealisten und Abstrakten im Café Sport erlebe ich nicht mehr.

Standard: Mangels Café Sport?

Patzak: Und mangels Willen, für seine Haltung zu kämpfen.

Standard: Sie haben gekämpft?

Patzak: Ich habe auf meine Art gekämpft, ich bin Beobachter. Im Hawelka, im Sport, im Gasthaus Ottakringer in der Wollzeile: Da wurde echt gestritten. Im Ottakringer gabs bei den Malern strenge Tischsitten: Wo Walter Pichler sitzen durfte mit seinen Leuten, wo die Phantasten.

Standard: Wo saßen Sie?

Patzak: Ich saß irgendwo, anonym. Ich war nie einer Gruppierung angehörig. Manchmal wünschte ich mir, dabei zu sein, war ich dabei, wollt ich nicht lange dabei sein.

Standard: Verkaufen Sie eigentlich viele Bilder?

Patzak: Nein.

Standard: Weil Sie nicht wollen oder weil Patzaks nicht gut gehen?

Patzak: Beides. Die Nachfrage ist bescheiden, aber sehr treu, und mein Trennungsschmerz ist immer sehr groß. Ich muss wissen, wo mein Bild hängt, und es ist wichtig, neben wem man hängt.

Standard: Was geht neben einem Patzak gar nicht?

Patzak: Röhrende Hirsche. Ich bin oft erstaunt über all die ausverkauften Auktionen. Wo gehen all diese Bilder hin, wo sind die Häuser, die Räume, die Wände? Vielleicht sind die Bilder ja im Safe.

Standard: Hans Dichand hat eine große Sammlung. Er hat in Ihrem ersten Spielfilm "Situation" mitgespielt: einen Banker. Der Kritiker der 2Krone", Gino Wimmer, hat Ihre Filme trotzdem vernichtet.

Patzak: Er hat mich gehasst.

Standard: Apropos. Wie bös# ist der Wiener? Manche Ihrer Figuren erinnern an die Ödon von Horvaths.

Patzak: Der Wiener ist ein charmant Böser. Das sehe ich täglich. Beim Einparken zum Beispiel.

Standard: Wie parken Sie ein?

Patzak: Relativ gut. Aber dann bleibt einer stehen, schaut zu ...

Standard: ... dachte, das machen die nur bei Frauen ...

Patzak: ... und beobachtet, ob ich hinten anditsche.

Standard: Sie haben in Ihrer Jugend anatomische Zeichnungen für einen Arzt gemacht. Nennen Sie sich deshalb "Experte in der Anatomie des Herzens"?

Patzak: Ich habe mich ums Herz gekümmert, den Truncus fasciculi fand ich am interessantesten: Der steuert Sie, uns alle. Herzen tauchen in meiner Malerei, meinen Filmen auf: Ich arbeite aus dem Herzen heraus.

Standard: Sie geben auch Ihren böseren Filmfiguren viel Herzblut mit, Camillo Castiglioni etwa: Der Flugzeugfabrikant hat in der Inflationszeit der 20er ein Vermögen erspekuliert, das Theater in der Josefstadt finanziert, 1924 seine Wiener Depositenbank in den Bankrott geführt. Der Spekulant fasziniert Sie?

Patzak: Ja, er war voll Energie, Lebendigkeit und Glauben, im Recht zu handeln. Er war später Finanzberater von Tito. Ich habe den ORF jüngst an diesen Film erinnert, der doch in diese Zeit passt, aber man meinte: Das spielt ja nicht heut'.

Standard: Sie sind ja in Ihren eigenen Filmen oft kurz aufgetreten, hatten da Ihre Cameo-Auftritte. In "Exit. Nur keine Panik" von Franz Novotny spielten Sie 1980 auch. Da hat ja auch Paulus Manker mitgespielt.

Patzak: Ich habe in Novotnys "Exit" mitgespielt und Novotny dafür in meinem "Kassbach".

Standard: Der junge Manker hat in Ihrem Atelier in Wien die Küchentür ausgerissen. Das war vor Jahren, als Sie das Atelier Michael Haneke geborgt hatten, und der ließ dort Manker vorspielen ...

Patzak: Ja, Haneke hat damals in Wien gedreht – aber das von Manker hab' ich erst vor einem Jahr erfahren. Die Küchentür klemmt heute noch.

Standard: In Ihrer Jugendstivilla hier ging es friedlicher zu, da hat einst Kaiserin Elisabeth Ballettunterricht bekommen, vom kaiserlichen Ballettmeister und später hatte Gustav Tauschek hier seine Werkstatt: Er war so zu sagen der Erfinder der Lochkarte und hat fast 200 Patente an IBM verkauft. Wäre er nicht eine Filmfigur für Sie?

Patzak: Ja, umso mehr als er 1945 relativ verarmt in der Schweiz gestorben ist, und man jetzt seine Tagebücher gefunden hat. Den Film macht aber schon eine israelische Regisseurin.

Standard: Sie haben dieses Haus bei Ihrer Location-Suche gefunden?

Patzak: Ja, auf einer meiner Motivfahrten, ich bin ja auch ein Herumschleicher auf der Suche nach Motiven, Häusern, Ecken, Plätzen, Höfen, Räumen. Ich muss zuerst den richtigen Raum finden, ihn verstehen, und dann erst kann ich meine Figuren hineinstellen in die Szene.

Standard: Was ist denn Ihr Lieblingsort in Wien?

Patzak: Das verändert sich. Seit kurzem der Treppelweg am Donaukanal in der Leopoldstadt vis-à-vis der Urania.

Standard: Wo Sie als Kind Seiltänzer Eisemann und seine Tochter in den Tod stürzen sahen?

Patzak: Ja. Es war fürchterlich. Aber kürzlich hat mir ein alter jüdischer Herr, der damals auch dabei war, erzählt, es gebe eine Erinnerungstafel. Ich geh also auf die Suche, die Tafel finde ich nicht, aber eine Gruppe gutaufgelegter Sandler, die mir beim Herumschleichen und Fotografieren zuschaut. Da ruft mir einer zu: "Patzak, mit einem Doppler kannst dich bei uns einkaufen." Da wusste ich: Ich bin nicht allein in dieser Stadt, ich hab' immer ein Zuhause.

Standard: Worum geht's im Leben?

Patzak: Ums Aufstehen und ums Weitergehen. (DER STANDARD, Printausgabe, 22./23.5.2010)