Facebook-Gründer Mark Zuckerberg

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Was waren das noch für Zeiten, als auf der Straße Menschen fröhlich in die Fernsehkameras winkten, weil sie daheim gesehen werden wollten. Oder sich darüber freuten, wenn ihr Bild in die Zeitung kam.

Aber die naive Freude an der Erfüllung von Andy Warhols Versprechen, dass "in Zukunft jeder 15 Minuten berühmt sein wird" , hat sich für viele in Horror verkehrt. In der Ära des Selbst-Googelns, in der wir online nach uns selbst suchen, erschrecken viele über die Ergebnisse.

"Onkel C"

Namen, Wohnort, Telefon: Das fand man früher auch im Telefonbuch. Aber Bilder in der Speedo-Badehose, vom Familienurlaub mit Frau und Kindern und dazu Glückwünsche an "Onkel C" zum neuen Job, wie das John Sawers passierte, der vergangenen Sommer zum Chef von Großbritanniens supergeheimem Spionagedienst MI6 bestellt wurde?

"Mit der digitalen Revolution ist es zu einer Entgrenzung gekommen" , sagt der Vorsitzende des Datenschutzrates (DSR), SP-Nationalrat Johann Maier. "Wir haben Regeln und Grenzen aufgegeben, man gibt online leicht persönliche Daten preis. Das hat Vorteile, aber auch Nachteile, die zu einem bitteren Erwachen führen können."

Totengräber der Privatsphäre

Diskretion, Privatsphäre und Datenschutz scheinen Konzepte des vergangenen Jahrhunderts zu sein. Privat zu bleiben "ist einfach keine soziale Norm mehr" , postuliert der 25-jährige Facebook-Gründer Mark Zuckerberg, der sich hyperaktiv als Totengräber der Privatsphäre betätigt. Seine Überzeugung demonstrierte Zuckerberg Millionen Facebook-Usern, als er zu Jahresbeginn einfach den Schalter seines sozialen Netzwerks von "mehr privat" auf "mehr öffentlich" umlegte. Plötzlich konnte man außerhalb der Community über eine Google-Suche sehen, wer mit wem befreundet war - oder wer was über wen zuletzt gesagt hatte.

PleaseRobMe.com

Wer privat - oder nur im Kreise seiner Facebook-Bekanntschaften - bleiben will, ist bis heute gezwungen, sich durch unerträglich komplizierte Einstellungen durchzuklicken. Inzwischen gibt es eigene Webdienste wie OpenBook, die vorführen, welche User-Informationen auf Facebook öffentlich zu finden sind. Die wieder eingestellte Seite PleaseRobMe.com filterte aus den Status-Updates sozialer Medien heraus, wer gerade nicht daheim und wessen Wohnung daher ein gutes Ziel für einen Einbruch abgab.

Aber solche pädagogischen Bemühungen verhindern nicht immer exhibitionistischere Formen der Selbstveröffentlichung. Blippy.com postet automatisch, welche Einkäufe Benutzer gerade mit ihrer Kreditkarte getätigt haben - so kaufte "pud" am Donnerstag eine elektrische Zahnbürste um 130,54 Dollar, davor eine iPhone-App um 3,99 Dollar und das Album Diamond Eyes um 9,99 Dollar.

"Grundsätze des Datenschutzes wie Datensparsamkeit und Zweckbestimmung spielen hier keine Rolle mehr"

Für den Datenschützer ist der Boom sozialer Medien wie Facebook, StudiVZ oder Blogs ein Albtraum, sagt Maier. "Grundsätze des Datenschutzes wie Datensparsamkeit und Zweckbestimmung spielen hier keine Rolle mehr" , da Menschen freiwillig und in großem Umfang Information von sich preisgeben. Hingegen ist der Kern des klassischen Datenschutzes, ein Kind der 70er-Jahre, "der Anspruch auf Geheimhaltung personenbezogener Daten" . Maier: "In sozialen Netzen stellt jeder freiwillig seine Daten und Bilder ein, kommuniziert und setzt sich so dem Risiko aus, dass sie verwendet und verfälscht werden."

Durch die Selbstveröffentlichung wird das im Datenschutz gängige Recht auf Löschung personenbezogener Daten de facto außer Kraft gesetzt, erklärt auch Daniela Zimmer, Mitglied der Datenschutzkommission und AK-Konsumentenschützerin.

Eigentum

Denn durch ihre Veröffentlichung werden Postings in sozialen Netzen gewissermaßen auch "Eigentum" all derer, für die sie bestimmt waren - so, wie man einen einmal abgesandten Brief nicht einfach zurückfordern kann. Würde jeder einfach löschen können, was er oder sie veröffentlicht hat, wird damit auch die Erinnerung der anderen gelöscht. Gewissermaßen George Orwells Diktum aus 1984 für den kleinen Diktator ins uns allen: Wer die Vergangenheit kontrolliert, kontrolliert auch die Zukunft.

Datenschützer haben für diese Problematik zwei Vorschläge: Einerseits "ein Ablaufdatum für Daten im Internet" , sagt Maier. Jeder legt selbst fest, wie lange Daten erhalten bleiben, das wissen auch Empfänger dieser Daten. Spätere Peinlichkeiten können damit vermieden werden.

Andererseits sollten persönliche Daten auf Verlangen oder nach einer bestimmten Frist aus der Indizierung von Suchmaschinen entfernt werden, sagt Zimmer. Dann würden sie nicht oder nur schwer auffindbar sein. Vergleichbar einem Printarchiv: Auch dies enthält Daten, die wie getilgte Vorstrafen oder Pleiten nicht mehr veröffentlicht werden dürfen, aber im Archiv de facto nicht mehr von der Öffentlichkeit gesehen werden.

"Wenn ich's dem internetz nicht erzählen will, muss ich halt die klappe halten"

Datenschutzängste scheinen jedoch die allermeisten Benutzer von Webdiensten nicht zu plagen. Das bestätigt auch eine informelle Umfrage unter Facebook-"FreundInnen" (so nennt der Dienst alle Kontakte). "Wenn ich's dem internetz nicht erzählen will, muss ich halt die klappe halten" , schreibt eine Freundin; "mir ist lieber, ich kann selber via facebook steuern, was man über mich weiß, als die üblichen wiener gerüchte und tratschereien (die sind doch zumeist weit schlimmer)" , eine andere.

"Man muss lernen, Details von Bildern, die man postet, genau zu checken. Bei einem Foto von meinem Patenkind in einem Restaurant waren zwei halbgeleerte Weingläser zu sehen. Das ist sofort aufgefallen, die einen glaubten, ich animiere das Kind zum Weinkonsum, die anderen spekulierten, dass ich einen Liebhaber mit hatte" , beschreibt eine Userin Komplikationen.

Verbindlichkeit statt Anonymität

Dabei ignoriert die Debatte über den möglichen Verlust des Privaten einen wesentlichen Aspekt: In gewisser Weise sind soziale Medien eine Korrektur der zuvor vielfach beklagten Anonymität im Web, die dieses entwerte. Statt unter einem Pseudonym treten User jetzt vermehrt unter eigenem Namen auf - das erhöht die Verbindlichkeit, aber auch die Öffentlichkeit.

"Wir müssen umdenken und lernen, dass viel mehr öffentlich ist als früher" , sagt der auf Onlinesucht spezialisierte Psychiater Hubert Poppe vom Wiener Anton-Proksch-Institut. Er glaubt, dass uns derzeit bei der Einschätzung von Onlinemedien unsere Sinne einen Streich spielen. Da sich Menschen beim Posten am PC in einem privaten Raum befinden oder andere nicht sehen können, was sie auf dem Handy schreiben, "ist uns nicht bewusst, dass es öffentlich ist. Es passiert zwar nicht im öffentlichen Raum, sondern daheim oder am Arbeitsplatz. Aber es ist ein öffentliches Medium - so, als ob ich meine Daten auf dem Dorfplatz anschlage, wo sie jeder lesen kann."

Sorge

Dennoch sagt Poppe: "Ich habe nicht die geringste Sorge, dass wir uns nicht an diese neue Situation anpassen können" . Wir befänden uns in einer Umbruchphase: "Wenn heute Partyfotos ohne unsere Zustimmung gepostet werden, dann gibt es noch eher den Trend, sich vor Konsequenzen zu fürchten.In zehn Jahren gibt es Millionen Fotos dieser Art, über die man sich nicht mehr entsetzen wird." Eines hält der Psychiater nicht für möglich: dass wir uns nur die Vorteile aussuchen können. "Wenn wir den Nutzen haben wollen, müssen wir lernen, die Nachteile zu kompensieren." (Helmut Spudich, DER STANDARD Printausgabe 22. Mai 2010)