Speed und Trash und ein wahrhaft gesegnetes Durchhaltevermögen: Robb Reiner (li.) und Steve "Lips" Kudlow von Anvil.

Foto: Craig

Mit beinahe tragischem Hintergrund.

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Wien - Wenn Philosophie davon handelt, sterben zu lernen, dann geht es beim Heavy-Metallen darum, mit gesundem Appetit die nötigen Voraussetzungen dafür zu schaffen. Wein, Weib, gute Sitten. Gesellschaftliche Umgangsformen, Geschmack, Angst, Fürsorge. Vorsicht und Anteilnahme, sämtliche Scham und lästige zivilisatorische Errungenschaften mit Ausnahme von Elektrizität und Stromruder: weg damit!

Lass alles hinter dir, und spuck "ihnen" ins Gesicht. Dazu dem Teufel einen wohlwollend gestreckten Mittelfinger und kreisch und jaul und hin und weg.

Wie fisteln die heute vor 80.000 Leuten auf einem Feld für seltenes Vögeln in Wels geigenden AC/DC: "It's a long way to the top if you wanna rock 'n' roll." Der Versuch, so lange zu rocken, bis der Arzt kommt, ist grundsätzlich löblich, wenn auch ein wenig dämlich und verzweifelt. Und manchmal geht er schief. Musik kann tragische Formen annehmen.

Immer auf dem Sprung

Die kanadische Metal-Band Anvil berockt uns von diesem Versuch, das wahre Leben mit den falschen Mitteln zu suchen, mittlerweile 13 Alben lang. Irgendwann Mitte der 1980er-Jahre standen sie vor dem Sprung zur Weltkarriere. Anvil beinflussten mit ihrem Dresch-Metal zahlreiche nachkommende Bands wie Slayer oder Metallica. Irgendwann aber ist etwas gewaltig schiefgegangen. Falsche Mittel, falsche Zeit, falscher Ort. Manche Leute aber gehen mit einem Messer im Rücken noch lange nicht nach Hause.

20 Jahre später trifft Filmemacher Sacha Gervasi auf die beiden Köpfe der Band, Sänger und Gitarrist Steve "Lips" Kudlow und Drummer Robb Reiner. Mit beiden hat es das Leben nicht gut gemeint. Dennoch wollen es die Freunde nach wie vor wissen.

Bitte nicht lachen!

Als ihre in lokalen Pubs immer noch aktive Band die Chance bekommt, auf Europatournee zu gehen, greifen sie zu - und eine der härtesten und berührendsten Dokumentationen der Filmgeschichte nimmt ihren Lauf.

Wer sich eine ähnliche Entblößung wie jene Metallicas in der gruppentherapeutischen Dokumentation Some Kind Of Monster von 2004 erwartet oder gar eine Genreparodie wie This Is Spinal Tap von 1984, dem wird das Lachen bald im Halse steckenbleiben.

Man wird in Anvil! Die Geschichte einer Freundschaft zwar Zeuge real existierender Rock-'n'-Roll-Klischees und zum Fremdschämen einladender Dialoge über "Einsatz" und "Hingabe" und den einen großen, bereits 30 Jahre währenden "Traum" Anvils, mit ihrer Musik endlich als 50-jährige Liebe mit Tausendschaften von Fans unten vor der Bühne machen zu können.

Selbst für die Verhältnisse Anvils aber verläuft die Tournee katastrophal. Gagen werden verweigert. Die Band spielt vor leeren Sälen. Züge werden verpasst. Die Band löst sich mindestens einmal pro Tag auf. Anvil kommen nach sechs demütigenden Wochen zurück nach Hause, ohne einen Groschen verdient zu haben.

Dennoch erweist sich Steve "Lips" Kudlow als Mann mit Steherqualitäten. Er nimmt bei seiner Schwester einen Kredit auf, um Anvil-Album Nummer 13 aufzunehmen (Titel: This is Thirteen). Ob das gutgeht? Der Film endet in Japan auf einem Metal-Festival. Um zwölf Uhr mittags. "It's a long way to the top if you wanna rock 'n' roll." (Christian Schachinger, DER STANDARD/Printausgabe, 22./23./24.05.2010)